Ein Wunderkind schiebt Klötzchen

Die 13jährige Elisabeth Pähtz aus Erfurt gilt als Hoffnungsträgerin im deutschen Schachsport, was ihrem ehrgeizigen Vater Thomas keineswegs nur Lobsprüche einbringt  ■ Von Hartmut Metz

„Mein Papa, der Herr Großmeister. Er ist nicht mehr der Beste. Er verliert ja schon teilweise gegen Gegner, gegen die ich gewinne.“ Recht despektierlich spricht Elisabeth Pähtz über ihren Vater Thomas, obwohl der den höchsten Schachtitel trägt. Dieses Selbstvertrauen saugt das Wunderkind aus ihren Erfolgen auf den 64 Feldern. Im Juli bestand sie im Damen-Nationalteam ihre Feuertaufe. Beim 22,5:27,5 gegen England war die 13jährige mit 6:4 Punkten auf Anhieb beste Deutsche.

Nach dem glanzvollen Debüt in Dresden nominierte sie Bundestrainer Uwe Bönsch auch für die 33. Schach-Olympiade in der russischen Republik Kalmückien. Dort blieb Elisabeth Pähtz allerdings, geplagt von einer Mandelentzündung, mit nur einem Sieg in sechs Partien erstmals hinter den Erwartungen. Bönsch hält trotzdem große Stücke auf das Ausnahmetalent. „Elisabeth ist sehr kampfstark, besitzt außerordentlichen Siegeswillen und kann sich sehr gut konzentrieren.“ Allein beim Training mit Vater Thomas mangelt es daran. „Da schlaf' ich ein“, meint die Deutsche Vizemeisterin der Damen keck, „er trainiert mich seit dem fünften Lebensjahr. Immer dieselbe Stimme strengt an.“

Das ändert sich mit einer bisher einmaligen Aktion des Deutschen Schachbundes (DSB): Der finanziell nicht auf Rosen gebettete Verband will zusammen mit dem Dresdner SC, für den Elisabeth am ersten Brett in der Bundesliga spielt, pro Jahr bis zu 30.000 Mark zusammenkratzen. Damit gedenkt der DSB Spitzentrainer aus aller Welt zu engagieren, die laut Thomas Pähtz den „Feinschliff“ an der Hoffnungsträgerin vornehmen sollen. „Elisabeth ist für ihr Alter sehr weit, was Eröffnungs- und allgemeines Schachverständnis anlangt, aber beileibe noch keine fertige Spielerin“, erklärt Bönsch. Trotzdem attestiert ihr der Bundestrainer, beim Zonenturnier „überragend“ gespielt zu haben. Als Fünfte lag Elisabeth Pähtz in Reichweite der zwei Qualifikationsplätze für die Weltmeisterschaft. Das zierliche Mädchen, das mit neun ihre erste Partie in der Bundesliga gewann, wurde wie so oft von den Rivalinnen unterschätzt. „Die Lematschko hat ganz primitive Fallen gestellt“, wundert sich die U12-Vizeweltmeisterin über die „Naivität“ der schweizerischen Großmeisterin, die sofort bestraft wurde.

Im Schach gibt es viele Kinder, die unter der Fuchtel ihrer ehrgeizigen Eltern stehen. Zum Beispiel Gata Kamsky (24), der von seinem Vater Rustam erst zu täglichem Schachtraining getrieben wurde, seit seiner WM-Niederlage gegen Karpow aber Medizin studieren muß, weil der Arztberuf Rustam Kamsky inzwischen einträglicher erscheint. Auch Thomas Pähtz sah sich vielen Anfeindungen ausgesetzt. Er züchte mit der finanziellen Unterstützung seiner Frau Anna, die die Familie als Betriebswirtschaftlerin „über Wasser gehalten hat“, lebensuntüchtige Klötzchenschieber, gifteten Neider, nachdem seine Schützlinge Ferenc Langheinrich, Thomas Hänsel, der 15jährige Sohn Thomas junior und das Töchterchen deutsche Meistertitel abräumten. Der inzwischen zum Angestellten des Thüringer Landessportbundes aufgestiegene Coach widerspricht jedoch energisch: „Bei allen geht die Schule vor. Elisabeth ist lebensfroh und besitzt zahlreiche andere Interessen.“ Abitur möchte das Wunderkind, das trotz einiger Fehlzeiten nur Einsen und Zweien im Zeugnis hat, machen und später studieren. Sie trainiert wegen des ständig mit Privatlehrern nachzuholenden Stoffes wöchentlich nur sechs, sieben Stunden und frönt ansonsten ihrer Hobbys: Musik – Elisabeth spielt Klavier, Akkordeon und Gitarre –, „telefonieren und Brieffreunden schreiben“.

In der Mehrzahl langweilen die angehende Großmeisterin aber Gleichaltrige. Im Schach, weil sie „lieber gegen Gute“ spielt, um ihre Weltranglistenzahl von 2.230 ELO zu steigern. Daher nimmt die Erfurterin diese Woche in der Nähe Barcelonas an der U18-WM teil, anstatt in ihrer Altersklasse auf den Titel zu schielen. In der Schule, weil „ich die meisten Mädchen nicht verstehe. Die interessieren sich nur für Jungs.“ Der für 1999 geplante Wechsel in die achte Klasse der Sportschule in Dresden kommt folglich gelegen.

„Zu prophezeien, Elisabeth wird Weltmeisterin, ist Spinnerei. Aber die Top 10 scheinen mir realistisch“, meint Thomas Pähtz. Auf dem Weg dorthin will er seiner Tochter einerseits kein Klotz am Bein sein und fördert das Training mit Großmeister-Kollegen wie dem Erfurter Thomas Luther. „Wenn ich ihr etwas sage, geht das mittlerweile da rein“, schwenkt der 43jährige seinen Zeigefinger vom rechten zum linken Ohr, „und dort wieder raus.“ Andererseits fürchtet Pähtz, daß nach achtjähriger Sisyphusarbeit seine kurze Zeit des Profitierens – wie Reisen in ferne Länder oder Traineranfragen aus ganz Deutschland – rasch endet. „Für mich wird es nach der Abnabelung schwer, nach mir kräht dann kein Hahn mehr. Elisabeth ist mein einziger Trumpf.“

Ab und zu ist der „schwache“ Papa aber doch zu etwas nütze. Im Mai in Baden-Baden saßen Vater und Tochter in einer Schaupartie Anatoli Karpow gegenüber. Mit vereinten Kräften zwangen Pähtz & Pähtz den Weltmeister schließlich in die Knie.