"Uns geht es um Themen"

■ Aus Wien in die weite Welt: Peter Kruder und Richard Dorfmeister sind durch ihre Remixe zum wichtigsten Popexport Österreichs avanciert. Das Wiener DJ-Duo über seine Begegnungen mit Falco, Bowie und die Werkschau "

taz: Euer neues Doppelalbum „K+D Sessions“ bietet eine Retrospektive eures Schaffens und besteht ausschließlich aus Remixen. Es erscheint zu einem Zeitpunkt, wo viele eher mit einem ersten Künstleralbum gerechnet hatten. Wird hier künstlich die Nachfrage geschürt?

PK: Es ist ja nicht so, daß uns die Idee, unsere Dienstleistungen einmal zusammenzufassen, ferngelegen hätte. Die Motivation zu dem Ganzen ist entstanden aus dem Mißverständnis der anderen, die uns doch tatsächlich gefragt haben, wie wir es so weit hätten bringen können, wo wir doch lediglich drei, vier eigene Stücke veröffentlicht hätten. Das haben uns Leute gefragt, die eigentlich mit der Materie vertraut sein sollten und wissen sollten, daß wir bereits zig Remixe gemacht haben, auf denen unser Ruf aufbaut.

Was aber ist Original und was eine Bearbeitung? „K+D Sessions“ besteht aus Remixen von Tracks anderer Künstler.

RD: Das Gefühl sagt mir, daß unser Handanlegen aus einem Original ein neues Original macht. Insofern vertreten unsere Remixe, unsere Bearbeitungen auch eher ein Album als eine bloße Kollektion von Remixen. Für mich sind unsere Remixe längst zu eigenen Stücken geworden, und dieses Album jetzt ist die Aufarbeitung von Jahren der Arbeit und Jahren der Erinnerung.

Von den Originalen blieb nicht selten mehr als eine Gesangszeile übrig. Der Rest war sozusagen „inspired by“...

RD: Es war von Anfang an unsere Idee gewesen, einen Track nicht einfach halb zu übernehmen. Bis heute sind wir ja auch dabei geblieben. Unsere Remixe ähneln einander. Und deswegen sind sie wie Kinder der Eltern, neue Wesen sozusagen.

Und diese Wesen beschwören jene filmische Scheinwelt, in der es noch Bars gab und Gentlemen und Gangster und Streichorchester?

RD: Stimmt, das ist sehr kinematographisch.

PK: Themen zu haben, darum geht es. Wenn man ein Thema für die Musik hat, kann man daran festhalten und es formen. Eine Filmszene kann auch ein Thema sein, die Stimmung, die diese Szene prägt.

Seht ihr euch als Zweimannorchester? Oder ist das vor allem Arbeit am Computer?

PK: Also wir spielen schon auch selbst die Musik ein. Die Gitarren spielen wir selbst ein, fast den gesamten Rest auch.

RD: Du hörst bei uns ja so gut wie keine Samples. So offensichtlich ist bei uns ja nichts.

„Session“ bedeutet laut Wörterbuch „Sitzung“. Wie kam es zu der Wortwahl, die ihr ja immerhin als Markenzeichen habt eintragen lassen?

PK: Weil es stimmt. Außerdem war uns bereits gleich ganz zu Anfang dieser Begriff „Remix“ zuwider. Zumal er ja auch nicht stimmt: Würden wir „remixen“, täten wir existierende Tonspuren einander anders als zuvor zuordnen. Und das liegt uns ja fern.

Ein anderer Wiener, Gott hab ihn selig, ist Falco. Als ihr kürzlich auf dem Heldenplatz aufgelegt hattet, spieltet ihr Falcos Hit „Ganz Wien“...

RD: „...ist heut' auf Heroin und Kokain.“

Ist das Lokalpatriotismus?

PK: Nein, obwohl wir beide Wiener sind. Ich fand es vielmehr wahnsinnig, auf dem Heldenplatz anläßlich der EU-Präsidentschaft Österreichs „Ganz Wien“ zu spielen. Man muß sich das folgendermaßen vorstellen: Von neun Uhr in der Frühe bis um zehn Uhr abends, als wir die Bühne betreten haben, ist das ganze Spektrum österreichischer Musik gelaufen. Von Klassik über Ballett bis hin zu Wolfgang Ambros. Alles. Wir haben die Bühne zu einem Wohnzimmer umbauen lassen: mit einer Couch, einem Fauteuille und Stehlampen, extrem bequem. Und vor uns stehen 30.000 Menschen. Das Angenehme war, daß diese 30.000 Menschen voll auf unsere Musik eingestiegen sind und vor unseren Augen abrockten.

Klar, normalerweise spielt man ja auch nicht vor solchen Menschenmassen.

PK: Das meinte ich aber nicht: Normalerweise tanzen die ersten fünf Reihen, und danach gaffen dich Tausende Augenpaare ungläubig an. Das ist normal. Und auf dem Heldenplatz hat sich der Horizont noch bewegt. Richard und ich haben da oben in unserem Wohnzimmer gestanden und nicht gepackt, was da unten abgeht.

RD: Wir haben dann Platten aufgelegt. Abwechselnd. Wir haben dabei darauf geachtet, daß wir kontinuierlich auf eine Explosion hinarbeiten.

PK: Die Leute sind auf die Bühne gesprungen und haben getanzt wie irre. Die Security hat die Leute runtergeschmissen, und die Leute sind wieder in unser Wohnzimmer geklettert. Man muß dazu erwähnen, daß wir ein Soundsystem gehabt haben wie eine Heavy-Metal-Band. Und dann spielten wir Falco, weil wir ihn lieben und weil er an diesem Tag mit keinem einzigen Wort erwähnt worden war. Weil der Typ einfach etwas geschaffen hat, was einmalig ist für unsere Musikgeschichte.

Hatte man ihn bewußt ignoriert?

PK: Ich glaube, man hatte ihn einfach vergessen. Er wurde nicht als Musikschaffender gesehen, sondern als Kunstfigur Falco, die zwar in den Yellow Pages auftauchte, nicht aber in den Charts.

Ihr hattet das Vergnügen, von Falco zu einem informellen Abendessen in dessen Villa eingeladen worden zu sein. Es ging um eine mögliche Zusammenarbeit.

PK: Unser Respekt für ihn ist durch dieses Zusammentreffen enorm gewachsen. Wir waren an diesem Abend etwa fünf Stunden zusammen, haben so eine lustige Zeit gehabt. Der Mann hat uns nonstop unterhalten. Ich habe noch nie so einen Entertainer gesehen.

RD: Du sitzt da und alle sind auf ihn fixiert, und er hört nicht auf. Du kommst nicht zu Wort. Er kann extrem gut formulieren. Und wenn er anfängt, Wienerisch zu reden, kannst du nicht mehr mitziehen. Der red' di nieder.

PK: Der hatte diesen Wiener Strizzi-Schmäh, der redete in einem fort wie ein Wiener Zuhälter, wie so ein Wiener Kleingangster...

RD: ...aber ausgefeilt! Er war ja kein Idiot. Das Problem war an dem Abend, daß uns das Material, welches er vorbereitet hatte, musikalisch nicht überzeugte. Sonst hätten wir bestimmt etwas mit ihm gemacht. Zumal er zu jenem Zeitpunkt dabei war, voll durchzustarten: Er hatte neue, spektakuläre, gezielt in Szene gesetzte Fotos und einen Hit gehabt, „Mama, der Mann mit dem Koks ist da“. Er wollte einen Eurodisco-Remix von „Der Kommissar“ herausbringen, der so irre schlecht war, daß dir übel wurde, wenn du nur daran dachtest. Irre schlechter, überproduzierter Soundscheiß. Wir haben uns dann darauf geeinigt, daß er irgendwann einmal bei einer unserer Nummern Baß spielen würde. Erst später haben wir realisiert, was für ein wahnsinnig originaler Typ das eigentlich war.

Was haben Kruder & Dorfmeister von Falco gelernt?

PK: Falco hat in einer linksextremen, drogenkonsumierenden Band gespielt, den Freaks, und fünf Monate später war er Nummer eins in den USA.

RD: Das hat ihm arg zugesetzt, diese Nummer eins. Das hat ihn rauskatapultiert aus seinem vorherigen Leben. Er hat ein vollkommenes Leben in Ersatzhandlungen geführt, nurmehr Wahn, Weiber, sehr viel Geld und noch mehr Koks. Er hat's nicht gepackt, und die Leute in Wien haben's nicht gepackt. Und Falco hat's gemerkt, und das Problem war einfach, daß dieser Freak plötzlich Nummer eins in Amerika war. Das klassische Ruhmproblem eben.

Auch mit David Bowie habt ihr eine Zusammenarbeit abgelehnt. Aus den gleichen Gründen wie bei Falco?

RD: Ach jeh! Der hat diese schreckliche Platte „Earthling“ herausgebracht. Eine Platte, die klingt, als ob sie für einen bestimmten Markt produziert worden wäre, nicht aber, weil Bowie es so für richtig gehalten hatte. Tin Machine hätten wir gerne gemacht. Weil man dieser Band angemerkt hat, daß sich David Bowie sauwohl gefühlt hat als Teil einer Band und nicht als Star im Rampenlicht.

PK: Ich habe David Bowie ja die Hand geschüttelt und war total enttäuscht: Mein Jugendidol war total schlecht gekleidet. Er hat ein Hemd getragen, das hat ausgeschaut, als wenn man es gebatikt hätte! Und dazu eine ganz komische, unförmige Hose. Und dann war er so klein und hat auch noch falsche Zähne. Ich habe seine schiefen, abgefuckten Zähne ja früher geliebt. Und jetzt hat er so ein Hollywood-Gebiß. Falco hätte wahrscheinlich gesagt „Schick mit Scheck“.

Wußte Bowie, wer du warst?

PK: Er hat mir ein Kompliment gemacht, wie gut er unsere Arbeit fände, und ich hätte auch gerne mit ihm geredet, aber dazu kam es dann leider nicht.

RD: Ich würde ja auch gerne mal so Leute wie Herbert Grönemeyer kennenlernen. Als Typen sind diese ganzen Leute ja total interessant. Nur zusammenarbeiten möchte ich deshalb noch lange nicht mit denen müssen. Sich zu kennen und auf eine Limonade zu treffen – der Zustand wäre mir eigentlich am liebsten. Sich hinzusetzen und unverbindlich zu reden.

Weil schlußendlich nahezu alles interessant ist?

PK: Es ist so wahr, so wahr: Alles ist interessant. Es ist viel wichtiger, Sachen zu machen, als zu überlegen, ob das gut ist, was man macht. Mir ist das kürzlich klar geworden, als ich die letzte Puff-Daddy-Nummer mit Notorious B.I.G. gehört habe: Da habe ich den tanzen gesehen, und der konnte gar nicht tanzen. Hatte noch nicht einmal ein Rhythmusgefühl. Aber er macht es halt einfach. Und mittlerweile, weil keiner so tanzt, wird er sogar imitiert. Er kann ja auch überhaupt net rappen. Aber er findet es lustig, daß es mittlerweile Rapper gibt, die ihn nachmachen, sich auf seinen „Stil“ berufen. Das ist eine Superaussage vom Puff Daddy. Der Trick ist so alt wie die Menschheit: Tu, was du tun mußt, und nicht das, was die anderen machen.

RD: Besser ein schlechter Tänzer sein, als einen schlechten Tänzer wie Michael Jackson zu imitieren. Interview: Maximilian Dax