Anklage gegen alle Diktatoren

■ Der Rechtsanwalt Francisco Fernandez Goberna will Marokkos König in Spanien vor Gericht bringen. Vorbild ist der Fall Pinochet

taz: Sie haben am Montag beim Sondergerichtshof für Terrorismus und Finanzverbrechen in Madrid, der Audiencia Nacional, gegen den marokkanischen König Hassan II. einen internationalen Haftbefehl beantragt. Was werfen sie ihm vor?

Francisco Fernandez Goberna: Völkermord. Ich habe meiner Anzeige eine Liste von 110 Sahrauis beigelegt, die die marokkanischen Besatzer der Westsahara zwischen 1975 und 1990 verschwinden ließen. Zehntausende Sahrauis flohen vor marokkanischen Napalmbomben in das westalgerische Tindouf, wo sie bis heute in improvisierten Camps leben.

Rechtfertigt das den Vorwurf des Völkermords?

Das spanische Strafgesetzbuch von 1995 beschreibt den Tatbestand des Völkermords mit der „totalen oder teilweisen Vernichtung einer nationalen, ethnischen oder religiösen Gruppe“. Im Gesetz ist außerdem die Vertreibung berücksichtigt. Beide Tatbestände sind gegeben, denn alle Opfer gehören eindeutig dem Volk der Sahrauis an. Es handelt sich also um eine homogene ethnische Gruppe. Der Fall ist damit wesentlich eindeutiger als das Verfahren gegen Pinochet, bei dem die Verfolgung politisch Andersdenkender verhandelt wird.

Aber im Unterschied zum Fall Pinochet handelt es sich bei den Opfern nicht um Spanier oder deren Nachkommen. Ist damit die Zuständigkeit der spanischen Gerichte nicht noch fragwürdiger?

Die Staatsanwaltschaft, die die Zuständigkeit der spanischen Richter im Falle Pinochets bestreitet, stützt sich unter anderem auf das Argument, daß es sich bei den Opfern um keine homogene Gruppe handelt, da verschiedenste Nationalitäten betroffen waren. Die Sahrauis sind eindeutig eine homogene Gruppe. Und während die Verbrechen in Chile und Argentinien vor dem Inkrafttreten des neuen spanischen Strafgesetzbuches stattfanden, besteht das Unrecht gegen die Sahrauis weiter.

Aber warum ein Verfahren vor einem spanischen Gericht?

Weil das spanische Gesetz eindeutig von der Zuständigkeit der Audiencia Nacional im Falle jedweden Völkermords ausgeht, egal wo er stattfindet und egal ob Spanier betroffen sind oder nicht. Außerdem ist Spanien bis heute die für die Westsahara zuständige Autorität. Solange die Sahrauis nicht per Volksabstimmung über ihre Zukunft frei entscheiden, ist die Westsahara nach internationalem Recht ein nicht autonomes Territorium. Damit ist die ehemalige Kolonialmacht zuständig.

Nach ihrer Lesart kann Spanien künftig alle möglichen Staatschefs vor Gericht zerren.

Die Audiencia Nacional ist kein Supergerichtshof. Was die Richter dort tun, stimmt mit der spanischen Gesetzeslage überein. Die chilenischen, argentinischen und marokkanischen Richter nehmen dagegen ihre Aufgabe nicht wahr. Wenn die Rechtslage es mir erlaubt, Völkermord und in einigen Fällen auch den internationalen Drogenhandel, soweit er Spanien mit betrifft, in aller Welt zu verfolgen, dann verlangt meine Berufsethik, diese Chance wahrzunehmen. Deshalb habe ich auch gegen den Diktator einer anderen ehemaligen spanischen Kolonie Anzeige erstattet: gegen den Diktator von Äquatorialguinea, Teodoro Obiang. Mehr als zehn seiner Diplomaten sind in Spanien beim Handel mit Heroin aufgeflogen. Obiang ist damit des internationalen Drogenhandels verdächtig. Interview: Reiner Wandler