Peepshow für VWs Luxuswagen

Autokonzern möchte in „gläserner Fabrik“ in Dresden Nobelautos zusammenschrauben. Dafür muß nun die Dresdner Messe weichen – zum Ärger der verdutzten Stadträte  ■ Von Nick Reimer

Die Messe ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für Dresden“, betonte Wirtschaftsbürgermeister Rolf Wolgast (SPD) noch vor einem halben Jahr. Ins Ausstellungsgelände am Großen Garten – Dresdens grüner Lunge – strömen jährlich knapp 600.000 Besucher zu 30 Messen. Um mittelfristig wettbewerbsfähig zu bleiben, müsse Dresden in den Messestandort investieren, hatte Wolgast das Stadtparlament so lange um Geld bekniet, bis dieses zustimmte.

Aus Wolgasts Bauplänen wird nun aber nichts, und statt investieren zu können, wird die Messe noch mehr Geld für einen Umzug auftreiben müssen: Der Bürgermeister selbst nämlich hatte das Messegelände an VW-Chef Ferdinand Piäch verschachert. Ausgangspunkt war eine Stadtrundfahrt der beiden Herren der besonderen Art: Im Frühjahr war Piäch mit der Idee nach Dresden gekommen, hier die neue VW-Luxuslimousine (interner Code: D1) bauen zu lassen. Weil die Kunden der bis zu 200.000 Mark teuren Nobelkarosse nicht irgendwer sind, soll auch der Kauf nicht irgendwie sein – sondern ein Erlebnis. In einer „gläsernen Fabrik“ mit Rundkino und Kunstgalerie soll der Käufer zusehen können, wie sein Schmuckstück zusammengeschraubt wird. Sollte das mal länger dauern, lädt VW in Frauenkirche oder Semperoper.

Als Wolgast die Stadtrundfahrt am Messegelände stoppen ließ, war Piäch am Ziel: Dieser Standort war so ganz nach seinem Geschmack. Wolgast, zugleich Aufsichtsratsvorsitzender der stadteigenen Ausstellungsgesellschaft, schien die Wahl des Wirtschaftsmoguls ganz gut in die eigene Politik zu passen: Seit Jahren träumte er von einem attraktiven Messeneubau anstelle der kargen Hallen, nur fehlte stets das Geld. Vergangene Woche teilte VW-Sprecher Hans-Peter Blechinger mit, man sei zwecks Messegelände definitiv mit der Stadtverwaltung einig. Die Messe wird abgerissen, VW investiert 100 Millionen Mark. Baubeginn ist Januar 1999, Produktionsstart im Jahr 2000. Weitere Details – etwa wie viele Arbeitsplätze VW schaffen will – werden erst bekanntgegeben, wenn der Stadtrat Mitte November entschieden hat.

Dann ist allerdings nichts mehr zu entscheiden. „VW und Wolgast diktieren uns einen Vertrag, den wir weder kennen noch ändern können“, so die Bündnisgrüne Eva Jähnigen. PDS-Fraktionschef Roland Weckesser bezeichnet das Vorgehen als „unseriöses Haustürgeschäft einer erpresserischen Drückerkolonne“. Wirtschaftsbürgermeister Wolgast müsse doch wissen, „daß VW dort gar nicht bauen kann. Im Flächennutzungsplan ist das Gebiet als Kultur- und Ausstellungsareal ausgewiesen“, erklärt die bündnisgrüne Fraktionsgeschäftsführerin Anett Ramisch. „Wir kennen nicht ein einziges Planungsdetail“, beklagt Jan Mücke von der FDP/DSU- Fraktion, der wie fast alle Parlamentarier seine Informationen ausschließlich aus der Zeitung hat. Zwar seien alle Fraktion „ganz klar für VW. Wenn dadurch aber die Messe flöten geht, ist uns aber unterm Strich nicht geholfen.“

Genau das ist jetzt die zentrale Frage: Wie schnell kann ein Messe- Umzug realisiert und vor allem finanziert werden? Wieviel Ansehen, wie viele der 600 Messe-Jobs gehen dabei verloren? Wolgasts Planungsstab trat vergangene Woche zusammen, um zwei Standorte für einen Messeneubau zu diskutieren – der eine mindestens 130 Millionen Mark teuer, der andere kostet 75 Millionen. Dresden drückt eine Schuldenlast von etwa 1,7 Milliarden Mark, da bleibt kein Spielraum für einen Messeneubau. Und weil Wolgast das Grundstück „VW praktisch schenken will“, so PDS-Chef Weckesser, käme beim Grundverkauf auch nicht viel rein.

Westimport Wolgast erklärt zur Finanzierung gegenüber der taz, daß „das schon seinen sozialistischen Gang geht“. Auch zur Terminfrage will er sich nicht äußern. Die Messeveranstalter jedenfalls sind sehr an detaillierter Planung interessiert. „Wir haben schriftlich, daß wir bis April am Großen Garten ausstellen können“, sagt Messeveranstalter Roland Zwerenz, der für sieben Fachmessen zeichnet. Die ersten 150 Ausstellerverträge für eine Verbrauchermesse im Mai seien unter Dach und Fach, erklärt Karin Thomas von der Dresdner Regionalausstellung. Sogar die Wirtschaft macht Druck gegen Wolgast. Die Entscheidung dürfe nicht zum Spielball von Einzelinteressen städtischer Angestellter werden, klagte die Dresdner Handwerkskammer beim Oberbürgermeister.

Die Debatte trägt groteske Züge. Um zu retten, was zu retten ist, fuhr beispielsweise Stadtentwicklungsdezernent Gunter Just nach Wolfsburg, um VW einen anderen Standort vorgeschlagen. Er wußte nicht, daß bei Reiseantritt schon alles abgemacht war. Außerdem diskutierte man ernsthaft, die Einzelteile der Nobelkarossen nachts per Straßenbahn in die VW- Fabrik zu transportieren, damit der innerstädtische Verkehr nicht mit VW-Lastern verstopft wird.

Um endlich Klarheit zu bekommen, strengt die bündnisgrüne Stadtratsfraktion nun eine Einwohnerversammlung an. Doch Volkswagen kam ihr zuvor: VW- Sprecher Blechinger kündigte an, der Konzern wolle von sich aus Stadtrat und Öffentlichkeit über das Projekt informieren.