: Antworten auf Letzte Fragen
Warum ist der Gesangverein ein lieber Herr, und wie heißt er mit Vornamen? (17. 10. 98)
Der seit dem 17. Jahrhundert in dieser Form bekannte volkstümliche Ausruf „Mein lieber Herr Gesangverein!“ ist wohl – wie so häufig in der Volkssprache – eine Verballhornung eines ganz und gar sinnverschiedenen Wortes. Für „Herr Gesangverein“ gibt es zwei recht plausible Herleitungen:
1. Im Alt-Algenitischen wird Gott (resp. die bei den Algeniten verehrte eher pantheistische Einheit aller Dinge) auch als „Hir Geysan-Fin“ bezeichnet; das bedeutet etwa „Allesertrotzender“. Reste dieses Sprachgebrauchs finden sich im Spätmittelalter noch bei einigen Wandervölkern im Siebenbürgischen. Somit bedeutete der Ausruf ursprünglich nicht mehr als „Ogottogott“ – und hätte einen leichten Bedeutungswandel hinter sich.
2. Unter den Söldnerheeren des Dreißigjährigen Krieges war das mundartliche Trinklied „Vonnen Sinnen innen Kempf“ äußerst beliebt. Im Refrain heißt es dort: „Meyn Libber, meyn Libber, wat Kempf, hei, din Gesang vereynt, von Sinnen innen Kempf, hei!“ Auch hier ist die lautmalerische Herleitung von „hei, din Gesang vereynt“ (“Hey, dein Lied vereint uns!“) durchaus denkbar, wie auch bereits im letzten Jahrhundert erörtert.Dr. phil. Doris Mertmeier
Der Gesangverein ist ein lieber Herr, weil Gesangvereine in aller Regel aus Männern bestehen, und mit Vornamen heißt er natürlich Heinrich. Aber der Vorname ist eh unerheblich, weil die Herren im Gesangverein sich siezen und nicht duzen!Dirk Löckmann, Rostock
Der liebe Herr Gesangverein ist meiner, und seinen Vornamen verrate ich nicht.Julia Rieger, Nürtingen
Ist es sinnvoller, die Wassertemperatur beim Duschen mit dem Kalt- oder mit dem Heißwasserhahn zu regeln? (17. 10. 98)
Diese Frage stellt sich ohnehin nur für Warmduscher. Kommt das warme Wasser aus einer Gas- oder Elektrotherme, die nur bei Anforderung von heißem Wasser anspringt, so ist die Antwort einfach: Natürlich muß man den Heißwasserhahn so weit aufdrehen, daß die Therme anspringt, und dann läßt man besser die Hände davon. Also regelt man mit dem Kaltwasserhahn. Jedes Rumgefummel am Heißwasserhahn könnte aus Warmduschern nämlich plötzlich ungewollte Kaltduscher machen. Kommt das warme Wasser aus einem Vorratstank, sieht die Welt anders aus. Dann kann man eigentlich machen, was man will. In kontinental-europäischen Kulturkreisen wird aber auch dann die Neigung groß sein, den Kaltwasserhahn nachzujustieren. Wiederum anders ist die Lage in Großbritannien und Schottland. Da dort ausschließlich Waschbecken mit getrenntem Kalt- und Lauwarmwasserhahn existieren, wird dort die richtige Temperatur durch das Pendelnlassen der Hände zwischen den beiden Hähnen eingestellt.Timm Krägenow
Warum verstehen die Deutschen manchmal nur Bahnhof? (24. 10. 98)
Der Zug Nr. – bratz – von – bratz – nach – bratz – hat voraussichtlich – bratz – Stunden Verspätung.Hartmut Riedel, Berlin
Eigentlich verstehen die Deutschen manchmal nur „Banghoff“: Nach diversen Bahnpleiten schwankend zwischen Bangen und Hoffen. Die Rechtschreibreform macht daraus beschönigend „Bahnhof“.Gerd Neurath, Saarbrücken
Weil sie gekonnt ihre Gehirnweichen auf Durchzug schalten.Katja Lerner, Eiskirch
In Frankreich werden Steaks und Entrecôtes oft halb roh serviert, so daß deutsche Gäste ihr Fleisch öfters „gar“ verlangen. Das klingt wie „gare“, das französische Wort für Bahnhof. Also, nicht die Deutschen, sondern die Franzosen verstehen Bahnhof.Josi Metz, Hamburg
Haben Sie schon einmal in Frankfurt auf dem Hauptbahnhof gestanden? Schon richtig, noch kein Grund, nur Bahnhof zu verstehen. Aber gehen Sie doch mal ins „Servicezentrum“. Nicht einfach so, sondern mit dem Wunsch, ein Ticket nach Norden zu kaufen. Die Reaktion: „Hää? Ein bißchen genauer, bitte. Wo denn nun im Norden?“ – Sie verstehen nur Bahnhof? Da haben Sie's.Jann Wienekamp, Norden, Ostfriesland
Warum ist die Vorzeit grau? (24. 10. 98)
Wir müssen hier Kenntnisse aus dem lang zurückliegenden Biologieunterricht hervorholen, denn es handelt sich um dasselbe Phänomen, wie im Satz „Nachts sind alle Katzen grau“ beschrieben. Dies wurde mit dem Leistungsvermögen der Sehnerven erklärt, die bei schwachem Lichteinfall nicht mehr die Farben, sondern nur die Grauabstufungen, welche den jeweiligen Farbwerten entsprechen, wahrnehmen. Die steinalten Höhlen, deren Felszeichnungen uns einiges über die Vorstellungswelt der Steinzeitmenschen berichten, waren selten vom Tageslicht erhellt. Demnach mußte sich den Menschen, wie den modernen Forschern, das Wissen um diese Zeit im schwachen Schein der Fackeln oder des Feuers in Grauabstufungen dargestellt haben, mithin in Grautönen. Ganz abgesehen davon waren die Möglichkeiten der Farbmodulation bei den damaligen Herstellungstechniken auch eher auf den monochromatischen Bereich beschränkt.Inken Schmidt, Hamburg
Ich glaube, diese Frage läßt sich nur individuell beantworten. In meinem Falle ist die Vorzeit eigentlich die Vorschulzeit, denn bei der Betrachtung meines Photoalbums beginnt „meine“ Zeitrechnung als kleine, grau in grau getönte, vermutlich quengelnde Tochter, Enkelin und Nichte auf den Armen meiner ebenso grauen Eltern, Omas, Tante unter einem grauen Tannenbaum. Alles in allem schien meine Welt damals mehr oder weniger heller oder dunkler, aber grau gewesen zu sein. Diese Vorzeit zieht sich noch ein paar Jahre (oder Seiten im Familienalbum) hin; ich bekomme kleine graue Schwestern, zum übernächsten Weihnachtsfest eine graue Schubkarre und weiteres graues Spielzeug. Plötzlich jedoch scheint Farbe in mein Leben gekommen zu sein, die graue Vorzeit ging zu Ende; und zum Schulanfang stehe ich in einem knallgelben Kleid mit einer großen bunten Schultüte vor einer grünen Wiese. Die Vorzeit war demnach grau, weil Farbfilme erst später zum Einsatz kamen.
Für meinen kleinen Bruder hingegen dürfte die graue Vorzeit die Zeit seiner Vorfahren und großen Schwestern sein, denn er wurde bereits in der Farbfilmzeit geboren, war ein rotwangiges Baby, trug bunte Strampelanzüge etc. Und so gibt es bestimmt für alle eine graue Vorzeit, zwar jeweils eine andere, aber wohl immer grau!Magdalena Thoene, Dortmund
Wo fängt Süddeutschland an? (10. 10. 98)
Nach Zirkelschlag im alten Schulatlas stellte sich heraus, daß wir in Kassel so ziemlich in der Mitte liegen. Von diesem neutralen Standpunkt aus sollte sich die Frage doch eigentlich beantworten lassen. Zuerst wollten wir die Sache gütlich regeln, indem wir den Begriff „Mitteldeutschland“ einführten, sozusagen als neutrale Pufferzone. Dies wurde allerdings schnell wieder verworfen, denn 1. ist der Terminus ungebräuchlich, und 2. – seien wir doch mal ehrlich – will niemand dieser geliebten Streitfrage auf derart lasche Weise aus dem Weg gehen. Also doch knallhart polarisieren: Wir wohnen an der Nordseite der Wilhelmshöher Allee, die Kassel als historische Achse in Ost-West-Richtung durchläuft. Zur Post und zum Bio- Markt müssen wir nach Süddeutschland zu den Bazis, dort sagt man „grüß Gott“ und „Samstag“, Edeka und Plus liegen auf unserer, also der Fischkopp-Seite, dort heißt es „moin-moin“ und „Sonnabend“. Damit ist für uns der Fall erledigt.WG Herkulesblick
Ganz klar in Fulda. Normalerweise hat jeder Landkreis sein eigenes Hinweisschild. Auf Autobahnen weisen sogar große Schilder darauf hin, welches Bundesland man gerade verläßt und welches danach kommt. Aber warum ist gerade Fulda die Grenze zwischen Nord- und Süddeutschland? Glücklicherweise gibt es in Fulda nicht nur Katholiken und einen Bischof, sondern auch viele Studenten, und die kommen bekanntlich aus vielen Teilen Deutschlands. Da Fulda geographisch gesehen ziemlich in der Mitte von Deutschland liegt, hat das den witzigen Nebeneffekt, daß Studenten aus dem Süden von Deutschland Fulda als Norden bezeichnen, wogegen Studenten aus dem Norden Fulda eher als Süden bezeichnen. Außerdem fängt gleich hinter Fulda Bayern an. Ich schlage deshalb vor, an der Eingangstür vom Fulderer Dom ein großes Schild aufzuhängen: „Willkommen in Süddeutschland!“Mario Stahr, Dresden
Der von Ralf Meindl ins Spiel gebrachte Weißwurstäquator bringt uns durchaus auf die richtige Spur. Entgegen allen Gerüchten ist dessen geographische Lage jedoch trotz 16 Jahren Kohl fixiert: Er verläuft durch Frankfurt am Main.Till Westermayer, Freiburg
Die Frage ist a priori irrelevant. Denn Deutschland kann, leicht vereinfacht, eingeteilt werden in Bayern und Preußen. Und, lieber Ralf Meindl, es ist zumindest in Bayern noch durchaus bekannt, wo der Weißwurstäquator verläuft – allen Kohlschen Bestrebungen zum Trotz. Der Weißwurstäquator ist mit der Donau gleichzusetzen, nicht, wie manche Zeitgenossen behaupten, mit dem Main. Denn diese falsche Behauptung basiert auf der durchsichtigen Überlegung, die Franken an Bayern zu binden. Nördlich der Donau liegt nur die bayerische Enklave der Oberpfalz, den meisten taz-Lesern durch Wackersdorf und die Maxhütte wohl ein Begriff. Also, Bayern liegt südlich der Donau, und nördlich sind die Preußen, wobei die Franken so etwas wie eine neutrale Pufferzone darstellen.Wolfgang Scheidt, München
Der geographische Anfang Süddeutschlands wird zwangsläufig markiert durch die Grenze Norddeutschlands. Entgegen landläufigen Meinungen und Vorurteilen läßt sich diese Abgrenzung jedoch keineswegs am imaginären Weißwurstäquator der Main-Linie festmachen. Vielmehr sind differenzierte Kriterien zur Bestimmung dieses elementaren Unterschieds anzuwenden.
1. Das politische Kriterium: Ausgehend von der Nordstaaten- Theorie, würde dies die Bundesländer Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern umfassen.
2. Das NDR-Kriterium: Sendegebiet des Norddeutschen Rundfunks.
3. Das Drittel-Kriterium: Geht man davon aus, daß nach Norddeutschland zunächst ein zunehmend süddeutscher werdendes Übergangsgebiet kommt, so ergibt sich für dieses das gesamte Gebiet zwischen Hannover und Wiesbaden.
4. Das sportliche Kriterium: Preußen Münster spielt aus gutem Grund nicht in der Regionalliga Nord, Hessen Kassel dagegen spielt in der Regionalliga Süd, bevor es der Konkurs geholt hat.
5. Das sprachliche Kriterium: Wo spricht man Hochdeutsch? Auch hier bietet sich Hannover an: komplett dialektfrei. Man versteht sich.
6. Das Küsten-Kriterium: Nicht unproblematisch, müßte man doch bei einer gesetzten Höchstentfernung von 100 Kilometern zu Nord- und Ostsee eine höchst uneinheitliche Linie von Meppen bis Neubrandenburg ziehen.
7. Das Bier-Kriterium: Die engstmögliche Einteilung: Flensburg bis Bremen, da innerhalb dieser Grenzen mit Flens(burger Pilsener), Becks und Jever die besten Biere Deutschlands gebraut werden.
8. Das Toleranz-Edikt: Vertretbar erscheint letztlich eine äußerste Grenzziehung auf der Linie Osnabrück-Hannover-Braunschweig. Alles darüber hinausgehende wäre beleidigend.
9. Und der Osten? Aus den neuen Ländern kann in der Tat nur Meck-Pomm akzeptiert werden. Brandenburg ist zu preußisch, Sachsen-Anhalt pauschal östlich, Sachsen ein Freistaat und Berlin Berlin.
10. Vechta: Ist das gallische Dorf mit umgekehrten Vorzeichen. Dort würde man mit absoluter Mehrheit CSU wählen, wenn man nur könnte. Wohnt man z.B. in Cloppenburg, beginnt Süddeutschland also in Vechta.Christian Priemel,
Delmenhorst/Freiburg
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