Die patriarchale Matriarchin

Helke Sander, Filmregisseurin, Autorin und Hochschullehrerin, machte vor dreißig Jahren den Mackern der Achtundsechzigerbewegung mit Worten und Tomaten klar: Ohne uns Frauen läuft nichts. Was folgte, war der Feminismus, der alle Gesellschaftsbereiche nachhaltig beeinflußt hat. Heute zieht sie Bilanz. Die Frauenbewegung sei versimpelt. Ein Gespräch darüber, wie es hierzu kommen konnte, mit  ■ Viola Roggenkamp

Sie ist pünktlich. Trotz Feierabendverkehr und Regenwetter. Mit der Bestimmtheit einer Frau, der die eigene Zeit kostbar ist, betritt Helke Sander, die bekannte Filmemacherin, Autorin und Hochschullehrerin, zur verabredeten Zeit die Halle des Hamburger Hotels „Reichshof“. Hier wollte sie sich treffen. Unter Kristallüstern eilen Hotelpagen, flanieren Frauen, den leichten Tuchmantel über dem einen Arm, das Aktenköfferchen in der anderen Hand. An der Bar sitzen Männer mit Gel im Haar und schwatzen. Kein Ort für nähere Gespräche, dafür einer von unverbindlichem Schutz.

„Nicht zu lange und nichts Biographisches“, legt sie gleich zu Beginn fest. „Ich hasse so was, ich finde, das geht niemanden etwas an.“ Zwischen ausladenden Sesseln verplaudert sich ein Klavier. Wir finden schließlich eine ruhige Ecke neben dem Eingang zur Garderobe und den Toiletten. Ich darf auch nicht schreiben, daß und wohin sie sich aufs Land zurückgezogen hat. Die Kellnerin eilt herbei.

Frauen. Wir wollen über Frauen reden. Helke Sander kommt gerade aus dem Schneideraum. Fünfzig Minuten Mutterliebe. Der Film wird nächstes Jahr beim TV-Kulturkanal arte im Themenabend „Mutter“ zu sehen sein. „Ich kannte gar keine Frauen, früher“, sagt sie, lächelt fein, sitzt sehr gerade und läßt ihren Blick zur Seite gleiten. „Lernte ich eine Frau kennen, hat die meinen Mann oder mein Mann die sofort verführt. Den Anspruch an eine Freundin, das nicht mitzumachen, den hätte ich gar nicht gehabt.“

Und dann entwirft sie vor meinen Augen eine Szene, eine Begegnung, die aus einem Film über Frauenliebe hätte sein können: Helke Sander, siebzehn Jahre, trifft erstmals ihre fünfunddreißigjährige Schwiegermutter in der Bahnhofshalle von Helsinki, eine Art intellektuelle Lichtgestalt „mit Regenschirm, obwohl es gar nicht regnete“. Eine Schriftstellerin mit Freundinnen, deren Ehemann seine Hemden selbst bügelte, und das im Jahre 1954. Helke war gekommen, um den Sohn dieser faszinierenden Frau zu heiraten.

Fünf Jahre später brachte die Schwiegertochter selbst einen Sohn zur Welt: Silvo. In Finnland wurde Helke Sander zu „einer Art reisender Regisseurin“, für das Theater, für das Fernsehen, „bis nach Schweden rein“. Als sie 1965 nach Berlin – ohne Gatten, aber mit dem sechsjährigen Sohn – zurückkehrte, war ihr künstlerischer Aufstieg, unter deutschen Verhältnissen, nicht fortzusetzen. Was nun?

Wir kennen dieses Phänomen aus anderen Zusammenhängen. Sternstunden der Menschheit nennen es die Dichter, wenn persönliche Nöte weitreichende politische Entwicklungen auslösen. „Die ganze Sache“, sagt sie, habe sie gemacht, „um einen anständigen Ort für mein Kind zu finden, um mir Raum zu schaffen, die Voraussetzung, um zu arbeiten. Ich wollte Filme machen.“

So entstehen Bewegungen, Revolutionen. „Wir wollten keine Frauenbewegung gründen. Wir wußten ja von keiner Frauenbewegung. Eine Frau aus der DDR hatte Bebel gelesen. Eine sprach über Lily Braun. Wer ist das denn? Wir wollten uns nur ein paar Sachen erleichtern, und plötzlich war es das.“ Aus den Mittwochtreffen entstanden die ersten fünf Kinderläden und der „Aktionsrat zur Befreiung der Frauen“. Es folgte Helke Sanders Rede beim SDS-Treffen vor dreißig Jahren in Frankfurt am Main. In der forderte sie die Männer dazu auf, der Politik der Frauen zu folgen. Weil das nicht geschah, flog die sprichwörtlich geworfene Tomate.

Ich wollte wissen, wie Frauen mit ihr umgehen. Davon waren wir jetzt ganz abgekommen. Also? Sie legt sich im Sessel zurück: „Im letzten Jahr entsetzlich.“ Und früher? An der Schauspielschule? „Die haben mich regelmäßig zur Schnecke gemacht.“ Aber an der Hochschule in Hamburg? Die Kolleginnen? „Da gibt es keine Frauen. Über lange Zeit war ich die einzige. Das ist unter der Präsidentin Adrienne Goehler besser geworden.“ Und jetzt dort? „Wir haben alle viel zu tun.“

Sie scheint entschlossen, das Thema abzuhaken. Ich noch nicht. Was bedeuten ihr Frauen in ihrem Leben? Sie nimmt einen Schluck Tee, dippt im mexikanischen Paprikadip herum und wirft einen kurzen Blick auf den fleißigen Hotelpianisten. „Man weiß von mir, daß ich erotisch auf Männer chronisch fixiert...“ Das letzte Wort geht im Geknirsche des Paprikagebäcks unter. Ob sie jetzt eben „war“ gesagt habe oder „bin“, erkundige ich mich. „Eigentlich“ habe sie „war“ gesagt, ergänzt sie und reklamiert für sich, was sie von amerikanischen Frauen gehört habe: Die Chance, von einem Mann auf der Straße erschossen zu werden, sei für eine Frau ab vierzig größer, als einen Mann zu kriegen.

Sie habe in ihrem Leben mit Männern zu tun. „Ich muß hundert Bänker sprechen, bevor ich einen Meter Film belichten kann.“ Für ihren dreistündigen Film „BeFreier und Befreite“ (1992), habe sie allerdings zuerst Unterstützung erhalten von Inge von Bönninghausen vom WDR.

Vor Helke Sanders Kamera erinnerten sich deutsche Frauen, wie sie in den letzten Kriegs- und ersten Nachkriegstagen von sowjetischen Soldaten vergewaltigt wurden. Politisch links engagierte Frauen, hier und in den USA, warfen ihr dafür Revisionismus vor. Das hat sie in Deutschland empört und in Amerika gekränkt. Sie hatte die Frage beschäftigt, warum die Deutschen, „die ihre Schuld eingestehen mußten“, nicht auch darüber sprachen oder darüber nicht sprechen durften, daß „massenhaft Vergewaltigungen stattgefunden hatten“.

Sie mache keine Frauenfilme, sagt sie. „Mein Ansatz ist ein anderer.“ Zum Beispiel: Wladimir Iljitsch Lenins Randbemerkung, was geschehen würde, „wenn Köchinnen Politik“ machten, wurde zum Thema ihres ersten Spielfilms „Die allseitig reduzierte Persönlichkeit“ – mit Helke Sander in der Titelrolle.

Deutlich wird, sie reizt die Absurdität, angesiedelt zwischen Macht und Ungerechtigkeit, Gemeinheit und Schwäche. Aus der Distanz des Kameraauges betrachtet und mit der Kreativität der Voyeurin macht sie etwas offenbar über die Potenz im Gegeneinander zwischen Frau und Mann sowie Frau und Frau – und über die Verlorenheit im Miteinander. Stoff auch für ihren sarkastischen Witz.

Frauen, die ihr begegnet sind, beschreiben Helke Sander mal als androgyn und spröde, mal als mütterlich streng. Komme sie in Hosen, wirke sie knabenhaft kühl, trage sie Kleider, sei sie umflossen von Stoffülle und gleiche – sehr reizvoll, wird betont – einer „patriarchalen Matriarchin“. Ob kühler Knabe oder mächtige Mutter, scheint sie doch als Frau unerreichbar für die andere Frau zu sein.

Natürlich pflegt sie noch Kontakte aus dem Aktionsrat der Achtundsechzigerinnen, „ungebrochene Freundschaften mit Frauen von damals“. Daß sie sich kaum sehen, gehört dazu. Helke Sander will wieder mehr Briefe schreiben. Wer kann sich auch einen in Leinen gebundenen Faxwechsel bedeutender Frauen vorstellen?

Sie ist eine Einzelkämpferin, die sich hin und wieder Frauen zugesellt und sie wieder verläßt. Sie kooperiere gern mit Frauen, bekräftigt sie und erinnert an die Redaktionsarbeit bei Frau und Film, von ihr gegründet und acht Jahre herausgegeben.

Und Konflikte? Neid? Eifersucht? Sie versuche, „schlechte Erfahrungen mit Frauen zu vermeiden“. Eingebettet in dieses Arrangement ist der Verzicht auf emotionale Nähe, die vielleicht angstbesetzt ist. Mit Frauen diskutiere sie. Auch darüber, wann, warum und woran Bewegungen versimpeln – vor allem die Frauenbewegung.

Darüber wird sie am 31. Oktober im Audimax der Freien Universität in Berlin sprechen, im Rahmen des Achtundsechzigerinnenkongresses zum Thema „Wie weit flog die Tomate?“ Die Frauenbewegung, „die eine Mauer durchbrochen und von allen Bewegungen am meisten auf die Gesellschaft, auf ihre Gesetze und auf die Psyche der Menschen“ nachhaltig Einfluß genommen habe, versimpelte.

Wie kam das? Wenn die Vielschichtigkeit der Fragen umschlage „in Angst vor der Anstrengung, das Neue auf seine Konsequenzen hin abzuklopfen“, werde ein Feindbild gesucht und gefunden, das notwendig sei „für die Versimpelung“. So sei die Kinderfrage aus der Frauenbewegung verdrängt worden, habe das Thema Sexualität überhand genommen, war das Feindbild „Mann“ geschaffen. Auf einmal stritten sich Lesben mit Heteras über die reine Lehre im Bett.

„Das Feindbild war ein Zeichen vom Niedergang der Frauenbewegung“, sagt sie. In ihrem Gesicht mischen sich Enttäuschung und Wut: „Da waren ein paar Erkenntnisse, die wir für die Weltgesellschaften hatten. Natürlich war das Größenwahn, weil wir so naiv waren. Durch das Hetero-Lesben-Zeug ist es in die Subkultur abgerutscht. Lesben haben sich an den heterosexuellen Frauen abgearbeitet.“ Da es keine Bewegung mehr gebe, fehle der Boden für große Diskussionen. „Das ist erst einmal so. Das kannst du nicht aus dem Boden stampfen.“ Die Kellnerin kommt. Sie will kassieren und Feierabend machen.

Als Professorin an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg, Helke Sander lehrt dort seit sechzehn Jahren, arbeitet sie auch mit Studentinnen, „ganz kompetente, junge Frauen“. Den Feminismus sähen sie jedoch mit großem Abstand. „Deren Bild von Frauenbewegung hat was von Dogmatismus, was ich auch nicht leiden kann. Ich wollte früher aus Unkenntnis über deren Arbeit nie mit den alten Sufragetten identifiziert werden, das schienen alte Jungfern zu sein.“ Daß Frauen sich etwas zu sagen hätten, „haben wir damals erst in Frauengruppen miteinander erfahren“. Heute sagten junge Frauen: „Das schadet mir vor dem Mann, wenn ich mit der Frau arbeite.“ Und diese Haltung nehme zu. Feministisches sei „wie was Unzeitgemäßes“.

In den Drehbüchern, die Studentinnen als auch Studenten ihr vorlegten, „werden Gesellschaftskonflikte kaum mehr thematisiert. Von Frauen schon eher, aber dann allgemein gehalten.“ Und zuversichtlich düster ergänzt sie: „Das wird sich ändern, wenn sie Kinder kriegen. Ganz schnell ändert sich das dann.“