Sehnsüchte, aufgestaut und aufgetaut

■ Die Dokumentation „Nach der Eiszeit“ über lesbisches Leben in den neuen Bundesländern

Das Thema klingt ein wenig nach einer Seminararbeit für Sozialwissenschaften: lesbische Frauen in den neuen Bundesländern. Doch Trevor Peters geht es in seiner Dokumentation Nach der Eiszeit nicht um Quoten oder Statistiken, sondern um Schicksale und die Menschen, die dahinter stecken. Der in Hamburg lebende Neuseeländer skizziert einfühlsame und manchmal seltsam stille Frauenporträts in Form von Interviewsequenzen, in denen sechs Frauen aus Mecklenburg-Vorpommern über ihre Zeit als gleichgeschlechtlich Liebende vor und nach dem Mauerfall sprechen.

Marita etwa, eine mütterliche Spätzünderin, die, nachdem sie durch Schuldgefühle in einen mißglückten Selbstmordversuch getrieben wurde, ihrem Leben eine örtliche wie inhaltliche Wende gab, indem sie ihre Familie verließ und aus ihrem 1000-Seelen-Kaff ins vergleichsweise großstädtische Schwerin zog. Oder das ehemalige Paar Evi und Ruth, das sich auf der Suche nach einem gesunden Maß an Normalität emotional wie sozial isolierte. Nach Das Capitol und Der Rosinenberg ist Nach der Eiszeit der dritte Teil von Peters Mecklenburg-Vorpommern-Trilogie, in der der ehemalige BBC-Regisseur die Menschen des Bundeslandes an der Ostsee vor und nach der Wende darstellt. Dabei geht es nicht primär um die repressiven Maßnahmen des ehemaligen DDR-Staatsapparates gegenüber Minderheiten, sondern um eine übergreifende geistige Ignoranz, die in dieser Form überall hätte stattfinden können. Trevor Peters hat Frauen ausgesucht, deren Selbstfindungsprozesse tief in den Siebzigern begonnen haben und bis heute reichen. Kleine Glückseligkeiten, die sich irgendwo zwischen liebevollem Kunsthandwerk, alternativen Lebensgemeinschaften und selbstverständlichem Händchenhalten bewegen. Nicht unbedingt einfallsreich, dafür selbstbewußt und „so stinknormal, daß es fast zum Kotzen ist“.

Oliver Rohlf

Dienstag, 3., 21.15 Uhr (in Anwesenheit des Regisseurs); Mittwoch, 4. November, 19.30 Uhr, Metropolis