„Das ist überraschend“

■ Dev Sol-Prozeß: Staatsschützer belasten Angeklagten. Diskrepanz zu Gutachten

Geschminkt und mit Brille und Perücke verkleidet sagten gestern die beiden Hamburger Staatsschützer Bernd S. und Karsten S. vor dem Hamburgischen Oberlandesgericht aus. Sie haben Teile der Schießerei beobachtet, die sich Anhänger der verfeindeten Flügel der kurdisch-türkischen Linkspartei „Dev Sol“ am 29. Januar dieses Jahres in Ottensen lieferten. Bei dem Kampf wurden die „Karatas“-Leute Hidir M. und Kazim G. verletzt. Auf die Angaben der beiden Fahnder stützt sich die Anklage der Bundesanwaltschaft. Sie wirft Abbas Y. (31), Taylan T. (20) und Armagan U. (18) vom konkurrierenden „Yagan“-Flügel Mordversuch und „Bildung einer terroristischen Vereinigung“ vor.

Beide Polizisten hatten am Tag der Schießerei die Angeklagten und zwei Freunde beim Spendensammeln observiert. Sie beobachteten, erklärte Bernd S. dem Gericht, wie die Gruppe in der Bahrenfelder Straße auf ein Duo „Südländer“ traf. „Ich habe genau gesehen, wie Herr U. plötzlich eine Pistole in Händen hielt und drei bis vier Mal geschossen hat.“

Karsten S., der sich zur Tarnung in einem Laden versteckt hatte, bekräftigt dies gestern: „Ich hörte einen Schuß; ich sah, wie Herr U. eine Pistole in den Händen hielt und mehrmals schoß.“

Beide Beamte sind sicher, daß die Schüsse aus einiger Distanz auf die Gruppe abgegeben wurden, und daß nur U. geschossen hat. Doch Aussagen und Beweise stimmen in diesem Punkt nicht überein. So spricht allein die Vielzahl der am Tatort gefundenen Projektile dafür, daß Armagan U. nicht der alleinige Schütze gewesen sein kann. Zudem geht ein Gutachten davon aus, daß sich der Schütze nicht weit entfernt von seinen Opfern befand. Demnach müßte eine andere Person als der ein Stück abseits stehende U. das Opfer Hidir M. durch Bauchschuß verletzt haben.

„Was würden Sie sagen, wenn das Gericht ein Gutachten eingeholt hat, wonach zwei Schüsse auf Herrn M. aus 50 Zentimeter Distanz abgegeben wurden und ein Schuß aufgesetzt war?“ fragte der Vorsitzende Richter Diethelm Erdmann. „Das ist für mich überraschend“, erwiderte Bernd S. verdattert. Auch Karsten S. meinte: „Das hätte ich sehen müssen.“

Der Prozeß wird am Donnerstag fortgesetzt. Dann wird die Verteidigung Tatzeugen präsentieren.

Peter Müller