Kasper statt Sexy Boy

■ Der Auftritt von Air im Kesselhaus bewies die Unvereinbarkeit von Schmuse-Elektronik und einer schweißtreibenden Live-Performance

Es kam wie es kommen mußte: eine derart perfekt designte Musik wie die Airs in eine auratische Livepräsentation bringen zu wollen, kommt einer Selbstvergewaltigung gleich. Wie kann man die warme Sterilität einer Platte wie „Moon Safari“ ohne Schweiß auf der Stirn, der dem ganzen einfach den Zauber nehmen muß, in ein Kesselhaus pressen? Kraftwerk lösten ein ähnliches Problem, indem sie Puppen tanzen ließen und den Menschen hinter dem Künstlichen versteckten. Air aber sollten das Risiko eingehen, live statt einem Sexy Boy einen unbeholfenen Kasper abzugeben.

Aber von vorne, schließlich durfte man sich vor Air noch an den Antistar-Allüren von Sean Lennon weiden. Der Sohn von Yoko Ono machte genau den nerdigen Slacker, den man erwarten konnte. Dieser junge Mensch kann nichts für seine Eltern, sagt nur ungern Hallo zu Paul McCartney, wäre gerne so einer wie Beck und überhaupt: Why don't you kill me? Gelegentlich durften bei ihm auch mal Gitarren wild schrammeln und Indieherzen erfreuen.

Das war's dann aber auch schon. Viel wichtiger, das war an der Stimmung im Kesselhaus deutlich ablesbar, war der Auftritt von Air. Die waren dann kein Duo, sondern ein Sextett und alle Mitglieder, kein Witz, waren ganz in strahlendes Weiß gekleidet. So stolzierten sie an ihre Synthietürme, Moogs, an das Uffta-Uffta-Schlagzeug, so wurden sich Gitarre und Baß gekrallt und losgelegt, als sei das ein Rockkonzert hier.

Dazu die Pyrotechnik. Nicht unbedingt spektakulär, aber effektvoll: in blauen, roten, grünen Lichtkegeln wirkten die Wesen auf der Bühne wie gute Aliens aus einer Spielberg-Kitschwelt: „Kelly, watch the stars“.

Aber leider blieb es nicht bei Kitsch. Denn – keine Ahnung ob das ein geheimes Steckenpferd von Air ist – es ward Bombast. Die Typen an den Synthies griffen in die Tasten als gälte es, einen Ash-Ra- Tempel-Kontest oder ähnlich Schreckliches zu gewinnen.

Die Stücke gingen irgendwann bloß noch soundmatschig ineinander über, der Air-Junge mit der besseren Frisur schmiß seine Vocoder-Stimme an, das Schlagzeug klopfte hölzern und die Gitarren sägten, wurden also nicht etwa verführerisch verfremdet, sondern klangen wie eine von Lou Reed. Und dann die Mätzchen zwischen den Songs. War das lustig? Neckisch? Sympathisch? Saublöd? Wahrscheinlich von allem ein bißchen. Da wurde sich mit Vocoderstimme an das Publikum gerichtet, das übliche „hello, everybody“ losgelassen und englisch radegebrochen, wie das Franzosen halt so schön können. Und vielleicht verwirrten Air für Glückseligkeits- Spielchen wie Arme hochwerfen und Wunderkerzen anzünden zu sehr. Denn zwischen outer space, Boygroup, ABBA, ELO und Schülerband mit viel Geld fürs Equipment gab es da so einige Seltsamkeiten, mit denen sich nur schwer klarkommen ließ.

Man könnte den Auftritt von Air als Ausdruck von ironiefreier Selbstironie umschreiben. Zu unklar blieb, ob sie das alles hier wirklich ernst meinen, oder ob sie echt zu viel Tolkien gelesen haben, aber leider zu sehr Jungs sind, um wirklich glamourös zu sein. Lester Bangs fällt einem dazu ein, der vor vielen, vielen Jahren anläßlich eines Konzerts von Tangerin Dream schrieb: „Aus dem U-Bahnschacht in dieses glatt-ästhetische Elysium zu treten, ist wie ein Sprung aus der Gosse mitten in die Iris von Jackie Onassis“. Genauso war's auch hier. Andreas Hartmann