Europas Menschenrechte sollen schneller werden

■ Kläger vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte haben es ab jetzt besser: Die Richter professionalisieren sich, der deutsche Übergangspräsident Bernhardt scheidet aus

Straßburg (taz) – Er war nur ein halbes Jahr Präsident. Kaum gewählt mußte sich der deutsche Jurist Rudolf Bernhardt schon wieder auf sein Dienstende als „Übergangspräsident“ am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) vorbereiten. Heute wird er in Straßburg endgültig ausscheiden. Das Gericht, das im Rahmen des Europarats die Einhaltung der Menschenrechte in 40 Staaten West- und Osteuropas überwacht, erhält im November einen neuen Präsidenten und wird auf eine professionellere Grundlage gestellt.

Ab dem 1. November arbeiten in Straßburg nur noch Vollzeitrichter. Der EGMR wird dann zum „ständigen Gerichtshof“. Bisher arbeiteten die 40 Richter nur sechs bis acht Tage pro Monat, nebenberuflich. Wegfallen wird nun auch die als „Filter“ vorgeschaltete Kommission für Menschenrechte.

Bernhardt hofft, daß die Verfahren durch diese Reform deutlich beschleunigt werden: „Innerhalb von zwei Jahren sollte jeder Fall abgeschlossen sein.“ Bisher mußte man in Straßburg rund fünf Jahre auf ein Urteil warten. Und das, obwohl der Menschenrechts- Gerichtshof immer wieder die nationalen Gerichte wegen ihrer langen Verfahrensdauer rüffelt.

Deutsche Fälle kommen eher selten nach Straßburg. Dies liegt nicht zuletzt am guten Rechtsschutz, den das Bundesverfassungsgericht gewährt. Für Furore sorgte jedoch der Fall der Lehrerin Dorothea Vogt, die in den 80er- Jahren als DKP-Mitglied aus dem Schuldienst entfernt worden war. Der EGMR entschied, daß dieser Eingriff in die Meinungs- und Vereinigungsfreiheit „in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig“ war.

In Zukunft könnte Straßburg für die deutsche Rechtslandschaft wichtiger werden, wenn sich die Karlsruher Verfassungsrichter wie geplant nur noch „nach Ermessen“ mit eingehenden Bürgerklagen beschäftigen. Allerdings gibt es auch beim EGMR angesichts der stetig wachsenden Arbeitslast Überlegungen, zu einem „freien Annahmeverfahren“ überzugehen. Präsident Bernhardt überläßt diese Diskussion zwar seinen Nachfolgern, hat aber Sympathie: „Nicht jeder kleine Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention muß auf die internationale Ebene gehoben werden.“

Bernhardt hofft auch, daß in Zukunft die Verhandlungen im futuristischen Gerichtsgebäude an der Ill „etwas lebhafter“ werden. Bislang trugen die Parteien lediglich ihre Rechtsansichten vor, die Richter hatten in der Regel keine Fragen, auch eine Diskussion fand nicht statt. „Da hat sich ein etwas blutleeres Ritual eingespielt“, gibt Bernhardt zu. Doch selbst wollte er für den frischen Wind auch nicht mehr sorgen, obwohl er viele der Verhandlungen leitete.

Bernhardt gilt als ausgleichender Charakter, der nicht zu besonders exponierten Ansichten neigt. Einer seiner schwersten Fälle, so erinnert er sich, war der Tod von drei Mitgliedern der irischen Untergrundgruppe IRA in Gibraltar. Die Iren waren von der britischen Antiterroreinheit SAS ohne Vorwarnung einfach erschossen worden, weil man Angst hatte, sie würden mitgeführte Bomben zünden. Tatsächlich hatten sie gar keinen Sprengstoff bei sich. Der Gerichtshof verurteilte daraufhin die britische Regierung – gegen die Stimme von Bernhardt, der gemeinsam mit einer starken Minderheit von Richtern Verständnis für das Vorgehen der Briten zeigte. Allerdings betont er sogleich – typisch Bernhardt – „auch die Mehrheit der Richter hatte gute Argumente“.

Der 73jährige Bernardt, der von 1970 bis 1993 das Heidelberger Max-Planck-Institut für Völkerrecht leitete, amtierte seit 1992 als Vizepräsident des Gerichtshofes. Sein Aufstieg zum Gerichtspräsidenten im März dieses Jahres war nach dem plötzlichen Tod des Dänen Ryssdal eher eine Notlösung. Da Bernhardt ohnehin bald aufhören wollte, wurde mit seiner Wahl der neuen Straßburger Ära nicht vorweggegriffen. Seine Nachfolger stehen schon fest. Als deutscher Richter wurde der Saarbrücker Rechtsprofessor Georg Ress gewählt, der bisher schon in der Europäischen Menschenrechtskommission tätig war. Neuer Präsident wird der Schweizer Luzius Wildhaber, der in Basel Völkerrecht lehrt und seit 1991 am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte arbeitet. Christian Rath