Die Aufgabe erzwingt die Sprache

Der grüne Außenminister Joschka Fischer versichert in Warschau, daß die Außenpolitik gegenüber Polen auch nach dem Regierungswechsel unverändert bleibt. Diplomatensprache ist für ihn ein neuer Code, den er erst lernt  ■ Von Bettina Gaus

Bonn (taz) – Wenn das Pflaster steinig ist, hilft ein Blick in die Ferne: „Das Ziel muß ein visionäres sein, nämlich den Prozeß der europäischen Integration zu vollenden“, sagte Joschka Fischer in Warschau. Die alte Regierung der Bundesrepublik Deutschland habe sich als „Anwalt“ des polnischen Beitritts zu Nato und Europäischer Union verstanden. „Wir wollen die Politik in diesem Verständnis fortsetzen.“

Ein bißchen genauer hätten es einige aber doch gern. Wann denn nun konkret der EU-Beitritt Polens erfolgen solle, will eine Journalistin wissen. „Ich bin jetzt den zweiten Tag im Amt. Ich verfüge über manches, aber nicht über eine seherische Gabe“, antwortet der neue deutsche Außenminister. „Wichtig ist, daß die Beitrittsverhandlungen jetzt beginnen.“ Da sei dann „Realismus angesagt“.

Außenminister haben keine Schonzeit. Anderen Kabinettsmitgliedern mögen die berühmten 100 Tage eingeräumt werden – denjenigen, die ihr Land nach außen hin vertreten, wird diese Frist nicht gegönnt. Auch mit den allerersten Gehversuchen auf diplomatischem Parkett werden bereits politische Weichen gestellt. In Warschau, der letzten Station seiner ersten Auslandsreise, bewegte sich Joschka Fischer auf besonders schwierigem Terrain. Es galt, Befürchtungen seiner Gastgeber hinsichtlich möglicher Änderungen der deutschen Haltung gegenüber Polen auszuräumen.

Sein Amtskollege Bronislaw Geremek zeigte sich nach dem ersten Gespräch zufrieden: „Von der Seite der Bundesrepublik Deutschland bekommen wir weiterhin eine eindeutige Unterstützung.“ Und: „Deutschland ist eine Chance für Polen.“

Aber nicht nur die offiziellen Gesprächspartner müssen überzeugt werden, auch die Öffentlichkeit will gewonnen sein. Das Presseecho auf Fischers Antrittsbesuch fiel gemischt aus: „Es war ein guter Besuch“, kommentierte die linksliberale polnische Zeitung Gazeta Wyborcza. „Joschka Fischer sprach klar und genau: die Politik der europäischen Integration wird fortgesetzt, Polen wird der EU beitreten.“

Ganz anders das konservative Blatt Rzeczpospolita: „Wenn die neue deutsche Regierung im Einklang mit ihren früheren Ankündigungen die europäische Integration ernst nimmt, muß sie sich dessen bewußt sein, daß Fischers Äußerung an Polens Erwartungen vorbeigeht. Statt Ermunterung zu weiteren Anstrengungen hat Warschau Worte gehört, die eine Dynamik der wegen bevorstehender EU-Mitgliedschaft durchgeführten Reformen dämpfen können.“

Joschka Fischer ist in Paris, London und Warschau auf einem schmalen Grat gewandert: Er wollte um Vertrauen werben, dabei aber auch gleichzeitig eigene Akzente setzen. Mit seinem deutlichen Lob für die Verhaftung des ehemaligen chilenischen Diktators Pinochet an die Adresse der britischen Regierung unterstrich er die besondere Bedeutung, die in seinen Augen den Menschenrechtsfragen zukommt. Kränze, die er an Mahnmalen für die Opfer des Warschauer Ghettos niederlegte, zeugten von seiner Bereitschaft, der „Verantwortung für die deutsche Schuld“ gerecht werden zu wollen.

Diese Signale waren eindeutig und unmißverständlich. Wie leicht jedoch auch ein unerwünschter Eindruck entstehen kann, das bekam Fischer bereits in London zu spüren. Dort kündigte er eine Intensivierung der deutsch-britischen Beziehungen an – und war sofort mit der Frage konfrontiert, ob daraus jetzt geschlossen werden könne, daß sich der Schwerpunkt der deutschen Außenpolitik von Paris nach London verschiebe. „Im Gegenteil“, erwiderte der Gast aus Bonn.

Im Gegenteil? So hatte er das vermutlich nun auch wieder nicht gemeint. Er habe gewiß lediglich die Notwendigkeit guter Beziehungen zu beiden Ländern betonen wollen, lautete hinterher das Urteil der Journalisten.

Aber der ungeschriebene Sprachcode, dessen sich Außenpolitiker weltweit bedienen, will erst gelernt sein. Noch benutzt Joschka Fischer die diplomatischen Floskeln wie eine Fremdsprache. So lange sie ihm nicht selbstverständlich von den Lippen kommen, vermeidet er selbst im Flugzeug jeden Rückfall in normale Umgangssprache: „Gestatten Sie mir, daß ich jetzt nicht eine allgemeine Überprüfung der Außenpolitik mache“, erwidert er auf die Frage eines Journalisten nach seinen inhaltlichen Schwerpunkten. Die allgemeine Verblüffung ob des ungewohnt hölzernen Stils wird dann von ihm knapp beschieden: „Die Aufgabe erzwingt die Sprache.“