„Die Patienten müssen Druck machen“

■ Im Interview: Der Arzt und Politiker Mathias Petersen über Organisationsdefizite in Praxen

taz: Herr Petersen, wie lange müssen Ihre Patienten durchschnittlich warten, bevor sie Sie zu Gesicht kriegen?

Mathias Petersen: Wer einen Termin hat, wartet nicht länger als eine Viertelstunde. Es gibt aber Tage, da ist erfahrungsgemäß immer viel los, in unserer Praxis montags und freitags. Da warten die Patienten dann manchmal eine halbe Stunde. Aber weil wir diese Stoßzeiten kennen, vergeben wir an diesen Tagen absichtlich nur wenige Termine. So bleiben die Wartezeiten trotzdem kurz.

Mit dieser Regelung scheinen Sie eine löbliche Ausnahme zu sein. Jeder zehnte Patient in Hamburg, der sich bei der Ärztekammer beschwert, beanstandet zu lange Wartezeiten. Warum haben so viele Ärzte ihre Terminplanung nicht im Griff?

Weil die Patienten sich zu wenig beschweren. Ich glaube, daß sich erst dann wirklich etwas ändert, wenn die Patienten Druck machen bei den Ärzten und auch die Konsequenzen ziehen, indem sie den Arzt wechseln. Es gibt bei vielen Kollegen ein Organisationsdefizit.

Wann ist das Maß Ihrer Meinung nach voll?

Ich will Ihnen ein Beispiel geben: Ich wollte kürzlich einen Patienten zu einem Lungenfacharzt überweisen. Erst hieß es, es gebe die ganze Woche keinen Termin. Als ich erklärte, es handele sich um einen dringenden Fall, wurde gesagt: 'Ja, dann muß der Patient sofort kommen, aber mindestens sechs Stunden Wartezeit mitbringen.' Warum ist es da nicht möglich, dem Patienten zu sagen, kommen Sie in sechs Stunden, und dann kommen Sie aber auch dran? Angeblich sei das organisatorisch nicht möglich.

Ist es denn bloß ein Problem des Zeitmanagements? Oder halsen sich Ärzte mehr Termine als machbar auf, nur damit die Kasse am Monatsende stimmt?

Das war früher so, aber heutzutage ist das wegen der Budgetierungen nicht mehr der Fall. Da hat man nach einer gewissen Zeit sein Budget erfüllt und kann dann mit den Patienten – rein wirtschaftlich betrachtet – eigentlich nichts mehr anfangen. Die meisten niedergelassenen Ärzte haben nach zehn Wochen ihr Quartalsbudget erfüllt. Nein, ich denke, es ist ein reines Organisationsproblem.

In den USA, wo die Konkurrenz zwischen den Ärzten noch größer ist als hier, klappt es besser. Offenbar verstehen sich die Mediziner dort mehr als Dienstleister.

Richtig.

Warum ist dieses Selbstverständnis in Deutschland nicht zu vermitteln? Beispielsweise schon während der Ausbildung?

Eine Marketingschulung während der Ausbildung halte ich nicht für möglich. Das lernt man später in der Praxis.

Wie wär's mit politischem Druck?

Politischer Druck bedeutet immer: noch mehr Regeln, noch mehr Gesetze. Das ist der falsche Ansatz. Denn das einzige, was daraus folgt, sind Rechtsstreitereien vor und zurück. Viel besser funktioniert es, wenn die Patienten, also die Kunden, die Regeln vorgeben. Dann wird sich auch die Einstellung der Ärzte ändern.

Fragen: Heike Haarhoff