Technosause bis ans Ende der Nacht

Nach längerer Pause tritt die Boygroup Toktok wieder auf, und das erste Album kommt bald raus  ■ Von Tobias Rapp

Love Parade 1995, die letzte Technoparade auf dem Ku'damm. Eine halbe Million Raver haben die Veranstalter überrascht und verstopfen die Straßen. Alle Wagen sind am Wittenbergplatz steckengeblieben, weil zu viele Raver im Wege stehen. Alle Wagen, bis auf einen. „Toktok“ steht auf dem Fahrerhaus, als der kleine Laster aus einer Nebenstraße auf den Ku'damm einbiegt. Auf dem Höhepunkt des Jubels der Wartenden fällt aber der Generator aus, und für fünfzig Meter rollt der Wagen ohne Musik, bis der Strom wieder fließt. Es sollte für Stunden der einzige Wagen bleiben, der sich zeigt.

Daß das Technokollektiv Toktok damals den ersten Wagen stellte, war genauso ungeplant wie der Stromausfall symptomatisch. Eigentlich wollten die Veranstalter den Toktok-Wagen überhaupt nicht dabeihaben und verbannten ihn aus der Warteschlange. Darauf mogelten sie sich unerlaubterweise an den Ravermassen vorbei und kamen dann, über einen Umweg, doch noch auf den Ku'damm.

Toktok standen immer für die Technovariante der Berliner Ökonomie: Viel Spaß, große Pläne, und am Ende sind alle pleite. Nachdem sie sich in den vergangenen zwei Jahren etwas zurückgezogen hatten, treten Toktok jetzt wieder auf. Wenn es je so etwas gab wie eine Berliner Underground- Techno-Boygroup, dann Toktok. Irgendwo zwischen beabsichtigter Verweigerungshaltung und drogeninduzierter Verpeilung gemeinsam abhängen und sich hinter den Maschinen als Kollektivsubjekt versuchen. Im Moment der Jungsmaschine verbanden sich Boygroup und Technokollektiv zu einer funktionierenden Einheit. Im entscheidenden Augenblick gingen jedoch meist die Masterbänder verloren, oder jemand vergaß den Computermonitor auf dem Bürgersteig, oder der Atari- Rechner gab kurz vor dem Auftritt den Geist auf.

Angefangen hatte es 1992 mit dem Aufenthalt der britischen Landfahrer-Technopunks Spiral Tribe in Berlin. Inspiriert von den Kellerabfahrten der Briten, die aufhörten, wenn die Polizei die Anlage beschlagnahmte, begannen Toktok Platten zu produzieren und Friedrichshainer Keller zu rocken, als der Tribe die Stadt Richtung Osten verließ. „Punk is Dad“ hieß die Parole, her mit den Maschinen und losgemacht.

Von Kellerabfahrten inspiriert

Doch jenseits des selbstgewählten Scheiterns waren Toktok auch Innovatoren. Sie waren eine der ersten Formationen, die Techno- Live-Sets spielten, also ihr Studio an den Rand der Tanzfläche stellten und so direkt aus den Geräten, ohne Umweg über ein Preßwerk und einen Plattenspieler, die Party rockten. Auspacken, einschalten, loswummern. Sie waren zwar nicht die einzigen, doch mit den Halbplaybacks von Auftritten anderer Gruppen, bei Großraves wie den Mayday-Partys, wo dann doch genau vorbereitete Tracks aus den Maschinen kamen, hatten sie nichts am Hut. Im Gegenteil: Die Auftritte waren meist fast vollständig improvisiert, was aber nur teilweise Absicht war – oft fiel die Vorbereitung einfach Vergeßlichkeit und kompliziertem Zuspätkommen zum Opfer.

Wenn die vier aber erst einmal in Schwung waren, dann waren die Auftritte von Toktok Technosausen, von denen noch Wochen später mit leuchtenden Augen erzählt werden konnte. Wenn die Maschinen erst einmal liefen, waren sie auch schwer zu stoppen: Selten dauerte ein Live-Set weniger als sechs Stunden, ein Auftritt ging gar über vierundzwanzig Stunden.

In den vergangenen zwei Jahren war es ruhig um Toktok. Das hauseigene Label „V-Records“ brachte noch einige Platten heraus, zum erstenmal auch die eines nicht Toktok assoziierten Produzenten, DJ Rush aus Chicago, aber Auftritte gab es nur sporadisch und meistens nur in einer Rumpfbesetzung.

Doch jetzt starten Toktok noch einmal: Das erste Album, „Run- Stop-Restore“, steht kurz vor der Veröffentlichung, und die Gruppe tritt wieder auf. Mit dem Beharren auf der Vierviertel-Bassdrum und all den anderen Errungenschaften von fast zehn Jahren Techno sind Toktok dabei im Electric Ballroom genau an der richtigen Adresse. Montag für Montag werden im SO36 die Technotugenden praktiziert: Vor ein Uhr morgens geht man nirgendwo hin, vor sechs Uhr morgens geht man nicht nach Hause. Kurze Haare und lange Nächte.

Nachdem Techno in seinen ersten Jahren vor allem ein Genre war, das sich in Clubs des Berliner Ostens abspielte, hat der Electric Ballroom im SO36 diesen neuen Berliner Sound wieder nach Kreuzberg geholt. Und obwohl die Zeiten für Techno im Moment nicht die besten sind – trotz all der prima Produktionen, die immer noch Monat für Monat die Studios und Preßwerke verlassen, drehen sich immer weniger Technotracks auf den Plattentellern –, kann man im SO36 immer noch feiern, als gäbe es kein Morgen. Während sich Berlin-Mitte vom Clubsterben erholt hat und in den dortigen Läden mittlerweile eher den gebrochenen Beats aller möglichen Spielarten gefrönt wird, findet sich Techno in Kreuzberg wieder.

V-Records-Nacht im Electric Ballroom, Nerk, Toktok und DJs Fabian Feyerabendt und Stefan Küchenmeister, SO36, 23 Uhr