Weniger Schafe als angenommen Von Ralf Sotscheck

Da hatte man gedacht, Deutsche und Iren mögen einander – die einen hatten gegen den gemeinsamen englischen Feind gekämpft, die anderen waren bemitleidenswert arm, vertranken ihre wenige Habe und sangen dabei auch noch lustige Lieder. Dieses Wohlwollen haben sich die Iren nun verscherzt, weil sie hinterrücks einen Wirtschaftsboom angezettelt haben, für den die Deutschen darben müssen.

Ein bekanntes deutsches Nachrichtenmagazin aus Hamburg hat es ans Licht gebracht: „Bonn überweist knapp 22 Milliarden nach Brüssel und erhält 11,5 Milliarden“, schreibt der anonyme Autor, die Iren hingegen machen „ein sattes Plus von über 2,4 Milliarden Mark“. Irische Bauern beschäftigten sich im Grunde nur damit, „sich über den jeweils neuesten Stand der EU-Zuwendungen auf dem laufenden zu halten“. Die Bauern sehen das anders: Vorigen Mittwoch demonstrierten 40.000 von ihnen in Dublin gegen mangelnde staatliche Unterstützung.

Der Spiegel-Autor wirft ihnen jedoch „illegale Abzockerei“ vor. Er hat festgestellt, daß es offenbar weniger Schafe in Irland gibt als angenommen. Die listigen Schnorrer treiben bei Inspektionen einfach dieselbe Herde auf „verschiedenen Bauernhöfen immer aufs neue zum Nachweis der Subventionsberechtigung“ vorbei. Und dann rudern sie mit den Tieren nach Wales hinüber, um dort auch noch mal abzukassieren. Der Agrarinspektor, der ihnen auf die Schliche kommen könnte, lebt gefährlich und „muß im Dienst immer mit Prügel rechnen“.

Der Artikel rief in Irland nicht nur einen landesweiten Wutausbruch hervor, sondern man zahlt es mit gleicher rassistischer Münze heim. Der Cork Examiner, ein Lokalblatt mit überregionalen Ambitionen, hat den Namen des Spiegel- Autors herausgefunden: Dirk Koch besitze zwei Häuser im Süden der Grafschaft Cork, und das sei typisch: Die Deutschen seien „die größte nicht englisch-sprachige Gruppe unter uns“, schreibt Anne Lucey. „Die meisten kamen wegen des alten Lehrsatzes der Nationalsozialisten der 30er Jahre: Lebensraum. Und kaum sind sie all dem entkommen, was sie an Deutschland nicht mögen, da beginnen sie auch schon, sich ein neues Deutschland aufzubauen.“

Die Arroganz, die in Kochs Artikel deutlich werde, sei ein Grund, warum die Deutschen in Irland so verhaßt seien: „Hohe Mauern, höhere Tore, bellende Stimmen und Mißachtung von Jahrhunderte altem Wegerecht.“ Selbst die Nägel würden sie aus Deutschland importieren, wenn sie ihre Häuser bauten, weil ihnen die irischen Produkte nicht gut genug seien. „Sie wollen das Land für sich allein und würden uns am liebsten vertreiben.“ Das vernichtende Urteil: Die Deutschen seien auch nicht besser als die Engländer, die früher die Köpfe der Iren vermessen haben, um nachzuweisen, daß sie eigentlich zu den Affen gehören.

„Die Deutschen nennen uns Paddys und machen sich über unseren Glauben lustig“, zitiert Lucey einen Bauern, „aber wie würde es ihnen gefallen, wenn wir sie Nazis nennen? Denn genau das tun wir nun.“ Und dann warnt Anne Lucey ihren Spiegel-Kollegen davor, zu seinen Besitzungen in West-Cork zurückzukehren. „Er wird in West-Cork nicht willkommen sein – ganz im Gegenteil.“ Seine deutschen Nägel darf er mitnehmen.