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„Meine Gene flüstern nicht!“ –betr.: „Das Geflüster der Gene“, intertaz vom 26. 10. 98

Die Fenster sind geschlossen, die gurgelnde Kaffeemaschine ausgeschaltet und die Musik runtergedreht. Ich horche in mich hinein. Doch was ist das? MEINE GENE FLÜSTERN NICHT! Nix, nada, niente. Nicht mal ein leises Gesummse (“lalalalala...“)

Tja. Ist dann möglicherweise der ganze Bas-Kast-Artikel am Ende nur ein einziger Käse?

Nichtreproduktionswillige Gene gibt's angeblich nur im Individuum und sterben in diesem ganz fix weg und damit aus? Klingt logisch. Dumm nur, daß Schwule, Lesben und begeisterte Selbstbefriediger nicht und nicht in der evolutionären Versenkung verschwinden wollen. Alles Leutchen, deren „Gene ihre Arbeit nicht gut“ tun (Kast)!

Doch ist es nicht eher so, daß der bestimmende Faktor beim Drang zum Geschlechtsverkehr – vulgo „Poppen“ (H. Schneider) – der glücklichmachende Effekt (Endorphine usw.) des Orgasmus ist, der sich folgerichtig auch problemlos auf selbstgerichtete u./o. homosexuelle Art & Weise erreichen läßt?

Also, wenn mir die Biologie schon ein bestimmtes Handeln nahelegt, dann geht's dabei eher um Lustgewinn als um einen bekanntermaßen eher unerotischen (Copy-Shop et al.) Kopiervorgang der Genetik.

„Vergewaltigung als Reproduktionsstrategie?“ ist also die falsch gestellte Frage. Denn Phänomene wie Sexualverbrechen oder auch die durchgeknallte Repressionspolitik der Taliban sind schon traditionsbedingt erklärbar; der Ursprung der Tradition hat aber nicht traditionelle, sondern biologische Wurzeln (Evolution, Aggressionsverhalten von Alpha-Männchen etc.) – jedoch wurde im Laufe der Zeit der zivilisierte Lustgewinn zunehmend durch partnerschaftliche Absprachen geregelt, nicht ohne rudimentäre Balzrituale beizubehalten (Auf die Brust trommeln, dicke Autos fahren, Schwanzvergleich usw.)...

Dieser Fortschritt kann behindert werden a) in soziokulturellen Milieus, die nichthierarchischen, konsensuellen Spaß an Sexualität verhindern und unterdrücken (Taliban), b) durch Individuen, deren Psychologie egoistisch genug angelegt ist, daß ihnen die eigene Triebbefriedigung auf aggressivste Art und Weise wichtiger ist als der Respekt vor anderen Individuen (Vergewaltiger).

Und wenn wir jetzt noch ein paar – auch von Bas Kast – nicht erwähnte Faktoren hinzunehmen, zum Beispiel die finanzielle und ergo essentielle Belastung durch Nachwuchs zumindest in westlichen Kulturen oder die Bedrohung durch Aids weltweit, bleibt von der postulierten Reproduktionswut nicht viel übrig. Denn – noch mal zum Mitschreiben – ein Macho ist kein Macho, weil er eben einer ist, sondern weil er zu dämlich ist, die Fortschreibung animalischer Verhaltensmuster bei der Suche nach sexueller Erfüllung abzuschütteln.

Man(n) sollte sich schließlich darüber klarwerden, daß der Lustgewinn (a.k.a. Orgasmus) nur ein Trick der Natur ist, uns die Reproduktion schmackhaft zu machen, ein denkendes (bitte!) Wesen (oder zwei...) jedoch völlig bedenkenlos den Köder (“Poppen“) genießen kann, ohne in die Falle Reproduktion geraten zu müssen.

Und jetzt lege ich wieder Musik auf und hole mir genkopiermäßig schwerst unproduktiv einen runter... Michael Kischel, Essen

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