Kommentar
: Nachhilfe in Demokratie

■ Der Religionsunterricht gehört abgeschafft

In Sachen Demokratie haben die Deutschen einiges gelernt, doch auf zwei Gebieten fruchtete die Nachhilfe nichts: Die deutsche Staatsangehörigkeit blieb an das Blutsrecht gebunden, und zu einer strikten Trennung von Staat und Kirche konnten sich die Verfassungsväter 1949 nicht entschließen. Doch Hoffnung naht: Die multikulturelle Wirklichkeit, die das Ius sanguinis endlich auf den Müllhaufen der Geschichte befördert, wird auch vor dem Religionsunterricht an staatlichen Schulen nicht haltmachen.

Denn wer der evangelischen und katholischen Kirche erlaubt, mit staatlichem Segen ihre Lehren im Klassenzimmer zu verbreiten, wird dieses Recht den anderen Religionsgemeinschaften nicht dauerhaft verweigern können. Doch wenn statt der Bibel der Koran auf der Schulbank liegt, sieht manch eifriger Christ das Abendland in Gefahr. Gewiß: Während beim christlichen Religionsunterricht die beiden großen Konfessionen für halbwegs demokratische Gepflogenheiten einstehen, fehlt ein solch verläßlicher Partner beispielsweise im Falle des Islam. Doch selbst wenn sich eine Organisation neu gründen ließe, die für einen islamischen Unterricht die Verantwortung übernähme – das Recht auf eigenständige Teilhabe an der Religionserziehung ließe sich auch keiner anderen Gruppierung absprechen. Obendrein bleibt unklar, was eine „religiöse“ Gemeinschaft überhaupt ist – zählt auch Scientology dazu?

Das Problem wird sich nicht lösen lassen, ohne den grundsätzlichen Konstruktionsfehler zu beheben, daß an staatlichen Schulen ein Unterrichtsfach existiert, für das demokratisch legitimierte Institutionen zwar zahlen dürfen, auf dessen Inhalte sie aber keinen Einfluß haben. Dieses Privileg wird nicht erst dadurch zum Skandal, daß die Mehrheit der BerlinerInnen keiner der großen Kirchen mehr angehört. Nicht umsonst hat die strikte Trennung von Staat und Kirche ihre längste Tradition in Ländern, in denen die erdrückende Mehrheit der Bevölkerung einer einzigen Religion anhängt.

Andere Bekenntnisse am Religionsunterricht teilhaben zu lassen kann nicht mehr sein als eine – allerdings notwendige – Übergangslösung, solange dessen völlige Abschaffung politisch nicht durchsetzbar ist. Denn die Schule soll nicht zum Glauben erziehen, sondern möglichst neutral das Basiswissen über die verschiedenen Religionen vermitteln. Dafür aber braucht es den verlängerten Arm der Kirchen im Klassenzimmer nicht. Ralph Bollmann