Wieder Bargeld für Flüchtlinge

■ Verwaltungsgericht erklärt Praxis des Sozialamtes Mitte für rechtswidrig, einem Palästinenser Sozialleistungen zu verweigern. Er hatte lediglich Unterkunft und Vollverpflegung bekommen. Flüchtlingsrat: Schlappe für Sozialsenatorin

Die Politik mehrerer Sozialämter, Flüchtlingen keine Sozialleistungen mehr auszuzahlen, hat das Verwaltungsgericht jetzt in einer einstweiligen Anordnung für rechtswidrig erklärt. Das Sozialamt in Mitte wurde verpflichtet, einem Palästinenser aus dem Libanon für drei Monate volle Sozialleistungen einschließlich Taschengeld und Kleidung zu zahlen. Während dieser Zeit soll der Mann sich um seine Rückreise bemühen.

Der Beschluß ist nach den Worten der Sprecherin des Verwaltungsgerichts, Astrid Reisiger, eine grundlegende Interpretation des neuen Asylbewerberleistungsgesetzes. Seit dem 1. September erhalten bestimmte Gruppen von Flüchtlingen weniger Sozialleistungen, wenn ihnen nachgewiesen wird, daß sie lediglich eingereist sind, um Sozialhilfe zu beziehen. In Berlin wurden von einigen Sozialämtern sogar sämtliche Leistungen verwehrt.

Ein kürzlich eingereister Palästinenser aus dem Libanon hatte gegen die Verweigerung von Bargeld geklagt. Das Sozialamt in Mitte hatte ihm lediglich eine Unterkunft mit Vollverpflegung zur Verfügung gestellt, da der Mann sich nicht ausweisen konnte und es nicht auszuschließen sei, daß er unter mehreren Identitäten in verschiedenen Sozialämtern Leistungen beziehe. Außerdem sei der Mann nach Meinung des Amtes lediglich in die Bundesrepublik eingereist, um Sozialleistungen zu beziehen.

Die 8. Kammer des Verwaltungsgerichtes stellte fest, daß der Identitätsnachweis durch Vorlage des Passes kein alleiniges Kriterium für die Gewährung von Sozialleistungen ist. Sondern: Das Sozialamt müsse konkrete Anhaltspunkte für einen Mehrfachbezug unter verschiedenen Namen haben, um die Leistungen zu versagen.

In einer anderen Frage folgte das Gericht jedoch der Auffassung des Sozialamtes: Wegen widersprüchlicher Angaben des Mannes zu seinen Fluchtgründen schloß sich die Kammer der Auffassung an, der Palästinenser sei hauptsächlich wegen der Sozialhilfe in die Bundesrepublik gereist. Das rechtfertige tatsächlich eine Leistungskürzung nach Einzelfallprüfung, heißt es im Gerichtsbeschluß. Doch das berechtigt ein Sozialamt nicht, überhaupt kein Bargeld zu gewähren. Vielmehr brauche der Palästinenser gerade Bargeld, um sich die nötigen Dokumente zur Paßausstellung, etwa eine Geburtsurkunde, zu besorgen. Sollte er nach Ablauf von drei Monaten trotz nachgewiesener eigener Bemühungen keinen Paß erhalten, muß das Sozialamt ihm auch dann weiter Bargeld auszahlen.

Für Michael Meyer-Borst vom Flüchtlingsrat ist der Richterspruch eine Schlappe für Sozialsenatorin Beate Hübner (CDU): „Hübner hat die Sozialämter in einem Rundschreiben aufgefordert, so zu verfahren, wie es das Gericht jetzt für rechtswidrig erklärt hat.“ Zum Beispiel Neukölln und Prenzlauer Berg. Meyer-Borst: „Wir haben berlinweit bereits mehr als 100 Flüchtlinge, denen nicht einmal mehr Essen und Unterkunft gewährt werden. Sie sitzen auf der Straße. Nun stellt das Verwaltungsgericht klar, daß Bargeld nicht verweigert werden darf, wenn es zum Klären persönlicher Belange nötig ist.“ Das Sozialamt in Mitte erwägt, gegen die Anordnung zu klagen. Marina Mai

(VG 8 A 506.98)