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Mit Sahne

Bertelsmann hat einen neuen Chef und ruft eine „neue Zeitrechnung“ aus  ■ Von Lutz Meier

Stellen wir uns einmal einen Moment lang vor, wir wären Joschka Fischer und eben flögen wir zum Antrittsbesuch nach Gütersloh. Wir hätten vorweg in Downing Street No. 10 geplauscht, im Elisée-Palast, waren längst bei Bill Clinton, alles selbstbewußte, mächtige Nationen dort. Doch nun schwebt unser Helikopter in eine Welt, die an Eitelkeit und Kraft jenseits irdischer Mächte zu rangieren scheint, wo Wundermenschen eine edle Rasse von „Bertelsfrauen und Bertelsmännern“ regieren, wie es dort heißt. Stellen wir uns also noch eine Sekunde vor, wir wären eben erst Minister und wüßten noch nicht viel von der Welt des Hauses, das heute hier geladen hat, hätten nur gehört, daß, wer wichtig bleiben will, dem mächtigsten Medienkonzern keinen Korb gibt, wann immer dieser erzählen will, wie gut er für die Demokratie ist, wie bescheiden und wie edel er die Finger von politischer Einflußnahme läßt. Wären wir der neue Außenminister und schon von Berufs wegen auf allerhand eingestellt, heute würden wir vielleicht dennoch den Kopf schütteln.

Nicht nur Fischer kommt an diesem letzten Freitag im Oktober. Der Kanzler sitzt schon da, Ministerpräsidenten, die Weltbank, der Präsident von Bayern München und der des Club of Rome auch. Doch hier sehen all die Mächtigen mickrig aus – das liegt am Glanz von Mark Wössner, dem alles hier gewidmet ist. „Alle mögen Mark Wössner“, geht es schon los, dann erfährt man, daß er ist „wie Siegfried“, er ist aber auch „Mohammed“, kurzgefaßt „ein Teufelskerl“, „einer, der alles kann“, der „schön“ ist, „gutaussehend und charmant“, dazu „ein begnadeter Seelenfischer“, um sich „die Besten der Nation“, er ist Franz Beckenbauer und Herbert von Karajan in einem.

Dann kommt der „Feldherr“ Mark Wössner selbst und sagt, daß „das meiste aus meiner Sicht völlig richtig getroffen“ war. Keineswegs mit Selbstironie, denn diese Haltung fand nie nach Gütersloh.

Mark Wössner war bis eben Chef bei Bertelsmann, und ab heute gibt es einen neuen: „Von hier und heute geht eine neue Zeitrechnung aus“, sagt Mark Wössner daher zu Kanzler, Vizekanzler und den übrigen, „und ihr könnt alle sagen, ihr seid dabeigewesen“. Wössner war fast ebensolang Chef wie Helmut Kohl. Größe im Abgang ist alles, hat der gelehrt. Aber Wössner wurde auch nicht von einem überdrüssigen Volk fortgejagt, sondern von einem lustigen Bertelsmann-Gesetz, das Topmanagern befiehlt, mit 60 Jüngeren Platz zu machen. Da hat man verdient, daß zum Trost Udo Jürgens extra Lied singt, das auch von der Bertelsmann-Bescheidenheit handelt, obwohl es in die Melodie der Größenwahn-Hymne „Aber bitte mit Sahne“ mündet.

Nun ist es nicht so, daß die etwa 25 Milliarden Umsatzmark starke Bertelsmann AG und ihr scheidender Vorstandschef Anlaß zu Minderwertigkeitskomplexen hätten, wie das knallende Selbstlob auf den ersten Blick vermuten ließe. Es ist einfach so, daß man bei Bertelsmann latent geneigt ist, die Welt um sich herum zu vergessen – zugunsten des eigenen Universums, das man hier einfach für besser organisiert hält. Ein Unternehmen, daß gesellschaftlichen Dialog nur als Ritus simuliert, zu dem es immer wieder die gleichen konzernnahen Figuren läd, damit sie dem Haus seine Sozialkompetenz versichern. Nun sind sie alle wieder da, Wolfgang Clement, Kurt Biedenkopf, Peter Glotz, Martin Bangemann und so weiter.

Einem Unternehmen, das sich derart viel mit sich selbst befaßt, entgeht schon mal die Außensicht. Zumal, wenn wie jetzt Unternehmensgründer Reinhard Mohn, Vorstandschef Wössner und seine Kollegen eine knappe Woche lang den 600 Topmanagern des Konzerns eingepeitscht haben, kann es schon mal passieren, daß es im ganzen Laden noch ein bißchen streng nach Psychosekte riecht. Bertelsmann sei eine Art „kommerzielle Kirche“ hat Michael Maier von der Berliner Zeitung (auch ein Bertelsmann) festgestellt. Dabei ist Bertelsmann auch nüchtern betrachtet ein faszinierendes Unternehmen, wo tatsächlich etwas freier zu arbeiten sein dürfte, als bei manchem Konkurrenten, und das als eins der wenigen Häuser globales Engagement nicht nur zum Senken von Sozialstandards nutzte.

Und auch Mark Wössner ist wirtschaftlich gesehen zweifellos erfolgreich, der ganze Laden von einer Solidität und zugleich Geldabwurfskraft, die fast beängstigend sind. Als Wössner die AG 1983 übernahm, da war sie eine Art größere Drückerkolonne, Unternehmenszweck waren Traumrenditen aus dem Verticken von Buchclub- und Zeitschriftenabos. Heute ist Bertelsmann vorn im europäischen Zeitschriftengeschäft, tonangebend im europäischen Privat-TV und internationalen Musikgeschäft, größter US-Buchverleger und neuerdings im Onlinebusiness.

Als einziger der Konzerne mit denen sich Bertelsmann die Weltspitze im Mediengeschäft teilt, ist Bertelsmann (zumindest in der westlichen Hemisphäre) wirklich international, ist in fast allen Mediensparten vertreten und wirft so viel ab, daß fremdes Geld aufzunehmen kein Thema ist. Auch wenn immer noch das Print-Geschäft dominiert, man in den künftig entscheidenden Feldern Produktion und Rechteverfügung zu wenig zu bieten hat und Wössner mit dem Sender Vox eine für die Bertelsmann-Ignoranz typische Megapleite hinlegte: Man muß sich um den Laden keine Sorgen machen.

Nun kommt Thomas Middelhoff, der trotz seiner 45 Jahre immer noch ein bißchen wie ein Gymnasiast wirkt, der Papas Firma übernehmen darf. Er redet gekünstelt, aber nicht laut, mit aufgesetzter Begeisterung, aber nicht von sich selbst besoffen. Middelhoff gilt als international, als virtuell, als Visionär, natürlich alles in den Grenzen der Bertelsmann AG. Dabei läßt seine Vita keine Höhenflüge vermuten: Er hat in Münster BWL studiert, ein bißchen in Papas Firma reingerochen, um dann bei Bertelsmann Druckfirmen zu managen und das Online- und Multimediageschäft aufzubauen.

Davon redet Middelhoff wie von einer neuen Religion: Er will die geistigen Waren, die in den Redaktionen von Gruner+Jahr oder RTL, in den Lektoraten der Bertelsmann-Verlage, in den TV- Schmieden der Ufa oder den Programmierstuben der Multimediafirma Pixelpark fabriziert werden, über elektronische Netze an die Welt verkaufen.

Daher will er offenbar so schnell wie möglich auch die Bande zu Leo Kirch kappen: Die gemeinsamen Pay-TV-Hoffnungen der das Land beherrschenden TV-Konzerne wirken in der Multimediawelt des Thomas Middelhoff nur veraltet. Und das mit Kirch hat nur das Bild vom blitzsauberen Weltkonzern beschädigt.

Am Ende legt Thomas Middelhoff die Hand auf die Mappe mit den „Unternehmensessentials“ und den Renditekurven, die Mark Wössner ihm eben feierlich gepackt hat, blickt nach oben und sagt, daß er erst ein glücklicher Mensch sei, wenn er Mark Wössner, der jetzt Aufsichtsratschef ist, zufriedengestellt hat. Man darf vermuten, daß es in 15 Jahren, wenn Middelhoff 60 wird, eine solch indezente Veranstaltung nicht mehr geben wird. „Machen Sie sich auf großes amerikanisches Entertainment gefaßt“, sagt Middelhoff, bevor er konzerneigene US-Musicalmädchen tanzen läßt, „und das hier in Gütersloh!“ Es ist nicht ausgeschlossen, daß Thomas Middelhoff die richtige Welt zu Bertelsmann bringen wird.

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