Grüne Angst vor schwarzen Beamten

Das Bundesumweltministerium ist ein Erbhof der CDU, nun soll es Speerspitze des Atomausstiegs werden. Viele Beamte bangen um ihre Position, der neue Minister dagegen fürchtet den passiven Widerstand seiner Behörde  ■ Aus Bonn Bernhard Pötter

Am Pförtner zumindest ist der Zug der Zeit spurlos vorbeigesaust. Auf die Frage, ob er seinen neuen Dienstherren schon gesehen habe, hebt der Mann im Glaskasten am Eingang des Umweltministeriums den Blick von den Überwachungsschirmen. „Den neuen Chef?“ fragt er verwundert. „Welchen neuen Chef?“

Der Mann ist die große Ausnahme. Alle anderen 800 MitarbeiterInnen des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit fiebern und bangen an diesem Mittwoch dem neuen Mann entgegen. Jürgen Trittin, neuer und erster grüner Bundesumweltminister, hat an seinem ersten Amtstag seine künftigen Untergebenen ins ehemalige Postministerium zur Amtsübernahme eingeladen. Das Gebäude, in dem das Monopol auf die Telekommunikation abgeschafft wurde, sieht an diesem 28. Oktober das Ende eines weiteren Monopols: Mit Trittin endet eine Ära, in der die offizielle bundesdeutsche Umweltpolitik von der CDU formuliert wurde.

Zwölf Jahre lang, seit der Gründung des Bundesumweltministeriums nach der Tschernobyl-Katastrophe, haben die CDU-Minister Walter Wallmann, Klaus Töpfer und Angela Merkel die Weichen bei Themen wie Abfall, Naturschutz oder Atompolitik gestellt – und sich eine Behörde geschaffen, die wegen der ungebrochenen CDU-Herrschaft vom nachgeordneten Umweltbundesamt (UBA) in Berlin als „in Teilen tiefschwarz“ bezeichnet wird.

Wie reagiert die Behörde, in der umweltpolitisch hochengagierte Öko-Experten mit CDU-Altkadern an einem Tisch sitzen, auf Rot-Grün? Den einen stand das Entsetzen in den Augen, andere schöpften neue Hoffnung, berichten die Mitarbeiter. Einige Kollegen mit allzugroßer Nähe zur alten Herrschaft der Angela Merkel oder dem plötzlich falschen Parteibuch seien am Tag nach der Wahl völlig aufgelöst durch die Flure geirrt, wird erzählt.

Doch grundsätzlich, beruhigt Wolfgang Stahl von der Pressestelle sich selbst und andere, „sind wir Angestellte der Bundesrepublik Deutschland und nicht einer Partei; die meisten Leute hier machen ihre Arbeit weiter und haben keine Probleme mit diesem in einer Demokratie ganz normalen Wechsel.“ Auch Jens Husen, der Vorsitzende des Personalrats, erinnert die Beamten daran, daß sie „loyal zur gewählten Regierung zu sein haben“. Er habe „gar keine Zweifel, daß die allermeisten auch unter dem neuen Minister gut weiterarbeiten werden“.

Denn das ist der Alptraum der Grünen: Daß die Merkel-Beamten die umweltpolitische Wende des den neuen Ministers Jürgen Trittin durch hinhaltenden Widerstand „gegen die Wand fahren lassen“, wie es aus der Fraktion heißt. Dem neuen Chef bleibt nämlich nichts anderes übrig, als sich auf den alten Apparat zu stützen. „Maximal 15 bis 20 Stellen“, rechnet Personalrat Husen vor, könne die neue Leitung neu besetzen, und auch das nur, wenn neue Stellen geschaffen und finanziert würden. Schließlich blieben alle Beamten im Sold, und das Haus müsse ohnehin noch Stellen streichen.

Das Umweltministerium wird also nicht zum Ort, um verdiente grüne Parteigänger mit Posten zu bedenken – im Gegenteil. Damit der Apparat funktioniert, ist Trittin auf die Zusammenarbeit gerade auf der mittleren und unteren Ebene des Hauses angewiesen. Auf grüne oder auch nur rote Seilschaften kann der neue Herr über die oberste Umweltpolitik dabei nicht zurückgreifen, weil sie schlicht nicht existieren. Gibt es überhaupt Grüne unter den Beamten im Umweltministerium? Die Schätzungen schwanken zwischen null und zwei Bediensteten mit grünen Vorstellungen. „Unsere Verbindungen zum Beispiel ins Wirtschaftsministerium“, sagt die grüne Umweltpolitikerin Michaele Hustedt, „sind da deutlich besser.“ Weil Jürgen Trittin das weiß, zieht er bei der Amtsübernahme vor Hunderten von Ministeriumsmitarbeitern die Samthandschuhe an. Er lobt die Klimapolitik seiner Vorgängerin, kündigt einen Kurswechsel bei der Atomkraft an und versichert den MitarbeiterInnen, er wolle sie behalten. Nur mit und nicht gegen den Apparat läßt sich nämlich das System des Grünen Punktes und die Abfallpolitik überpüfen, läßt sich ein neues Ozongesetz schreiben und lassen sich Atommeiler abschalten. Die Mitarbeiter werden dafür dringend gebraucht.

Allerdings nicht alle. Drei der sechs Abteilungsleiter sollen wohl entsorgt werden. Ministerialdirektor Gerald Hennenhöfer ist einer davon. Der Chef der Abteilung RS (Reaktorsicherheit) hat seinen Schreibtisch bereits leergeräumt, stapelt Umzugskartons in der Ecke seines Büros und wartet am Tag nach Trittins Amtseinführung auf einen Anruf aus dem Büro des Staatssekretärs. „Sobald ich meine Entlassungsurkunde anfasse, bin ich normaler Bürger und fahre mit der Straßenbahn nach Hause“, sagt der Fünfzigjährige, der die Abteilung mit 100 Mitarbeitern vier Jahre geleitet hat. Seiner Abteilung steht eine Wende von der Pro-Atom zur Anti-Atom-Verwaltung bevor. „Die Beamten akzeptieren eine neue Entscheidung des Gesetzgebers“, kommentiert er den Wechsel. „Wenn auch die allermeisten hier davon überzeugt sind, daß die Kernkraft sicher und notwendig ist.“

Noch einmal stellt sich Ministerialdirektor vor seine Untergebenen. „Die Leute dürfen nicht diskriminiert werden“, verlangt Hennenhöfer. „Unser Handeln beruhte immer auf den bestehenden Gesetzen.“ Die Abteilung RS („Unser Produkt heißt Sicherheit“) werde weiter gebraucht, die Mitarbeiter würden im Haus bleiben, weil sie in ihrem Alter nichts Neues mehr fänden. „Das ist schon so, als ob man ein Haus baut und es jetzt wieder einreißen muß.“ Mit den Ländern, sagt der parteilose Hennenhöfer, habe man gut zusammengearbeitet, mit einer Ausnahme: Hessen und der Kampf um die Stillegung von Block A des AKW Biblis. „Und jetzt kommen die Hessen hier in die Behörde“, sagt er resigniert.

Mit „die Hessen“ ist nur ein Hesse gemeint: Rainer Baake, neuer Staatssekretär im Umweltministerium, soll für Jürgen Trittin die zwei wichtigsten Aufgaben erledigen. Er soll den Ausstieg aus der Atomkraft vorantreiben und die Behörde in den Griff bekommen, wie er das bereits im hessischen Umweltministerium geschafft hat. Baake gilt als durchsetzungsfähiger und machtbewußter Verwaltungsfachmann, der „ins Minsteriums kommt, den Leuten in die Augen sieht und dann läuft das“, sagt die grüne Bundestagsabgeordnete Hustedt. Über die konkreten Pläne zur Übernahme und Umstrukturierung des Ministeriums will Baake sich nicht äußern. Nur beim Amtsantritt kein Porzellan zerschlagen, heißt die Devise. Und der schließen sich auch die beiden grünen parlamentarischen Staatssekretärinnen Gila Altmann und Simone Probst an. Auch von ihnen ist bislang nichts Konkretes zu hören. Einen generalstabsmäßigen Plan zur Übernahme des Ministeriums habe es jedenfalls nicht gegeben, heißt es aus der Fraktion. „Bei uns hat doch niemand mit Rot-Grün gerechnet“, sagt Verkehrsexperte Ali Schmidt.

Trotz des Schweigens zeichnen sich Details über die künftige Struktur bereits ab: So wollen die Grünen die Kommissionen für Reaktorsicherheit und Strahlenschutz völlig neu und viel stärker mit atomkritischen Experten besetzen. Auch das Bundesamt für Strahlenschutz bekommt einen neuen Chef, der den Atomausstieg mittragen soll.

Auf den Fluren des Umweltministeriums herrscht vorsichtige Zurückhaltung. „Solange wir die neue Politik nicht kennen, sagen wir gar nichts“, lautet die stereotype Antwort. Erst mal will man abwarten, was der Neue macht und wie er sich im Kabinett durchsetzen kann. Aus der Deckung wagt sich nur, wer sich als Gewinner sieht. „Viele Kollegen sind erleichtert, daß sie ihre Konzepte nicht mehr für den Papierkorb schreiben“, sagt Franzjosef Schafhausen vom Klimaschutzprogramm. „Und sie hoffen, daß in Zukunft das Wirtschaftsministerium unsere Vorschläge nicht weiter so untergräbt wie in der Vergangenheit.“

Weniger Verwässerung ihrer umweltpolitischen Konzepte durch das Kabinett Schröder erhofft sich auch das Ressort Abfallwirtschaft. Und Hendrik Vygen, Leiter der Unterabteilung Internationale Zusammenarbeit, sieht in Trittins Auftritt auf der Klimakonferenz in Buenos Aires in zehn Tagen ein Signal, daß sich Deutschland beim Klimaschutz wieder an die Spitze setzt. „Die grüne Ressortleitung findet international großes Interesse, vor allem von Staaten, die darauf setzen, daß wir im Klimaschutz mehr tun.“ Es gebe aber auch die gegenteilige Erwartung. „Ein Mitarbeiter des US- Außenministeriums hoffte, daß Deutschland wegen des Atomausstiegs bei seinen Minderungszielen für Kohlendioxid nachlassen werde und den Druck von den USA nehmen würde – den Zahn mußte ich ihm erst einmal ziehen.“

Die möglichen Verlierer des Wandels von tiefschwarz zu zartgrün sind zögerlich. In der Abteilung N (Naturschutz), sind die leitenden Personen nicht zu sprechen. Immerhin fordern die Grünen dort gemeinsam mit Umweltverbänden „personelle Veränderungen“. Für Peter Westenberger vom Bund für Umwelt und Naturschutz BUND war die Abteilung N eine „Leisetreterin“, die etwa bei der Einführung der europäischen FFH-Richtlinien zur Ausweisung von Schutzgebieten versagt habe. „Gegenüber der Landwirtschaft waren die völlig defensiv“, meint Westenberger, der einen Wechsel vieler Mitarbeiter in die Wirtschaft erwartet.

Auch im Umweltbundesamt hofft man, daß in der Mutterbehörde in Bonn die Zeiten vorbei sind, in denen „Umweltschutz vor allem nichts kosten und sich nicht gegen die Interessen der Wirtschaft richten durfte“. Die Bevormundung der Berliner Behörde durch die Bonner Ministerialbürokratie solle endlich aufhören. Die Gefahr, daß die Bonner Beamten den grünen Minister „auf Tretminen laufen lassen“, sehen die meisten UBA-Angestellten nicht. „Man sollte die Autoritätshörigkeit von Beamten nicht unterschätzen“, heißt es. Weiten Teilen des Beamtenapparats wird „extreme parteipolitische Beweglichkeit“ unterstellt – offenbar zu Recht. So klingeln seit der Wahl in der grünen Fraktion ab und zu die Telefone, wenn Beamte aus dem Umweltministerium ihre „Mitarbeit“ anbieten, erzählen die Abgeordneten. „Einer hat darauf verwiesen, daß er Mitglied der Grünen in Nordrhein-Westfalen sei“, sagt Verkehrspolitiker Schmidt und grinst. „Als wir in NRW nachfragten, hieß es: Jemanden mit diesem Namen gibt es hier nicht.“