Dicke Luft über Buenos Aires

■ Die Stadt nimmt kaum Notiz vom Gipfel, sie hat eigene Luftprobleme

Buenos Aires (taz) – Pünktlich um sechs Uhr abends wird die elegante Avenida Santa Fe zur Vorhölle. Der Feierabendverkehr läßt auf der ehemaligen Prachtstraße von Buenos Aires alles zusammenbrechen. Zusätzlich zu den aufgemalten vier Spuren auf der Straße machen Taxifahrer, Motorradboten und müde Heimkehrer nach Feierabend noch weitere vier Spuren auf. Knapp 13 Millionen leben in Buenos Aires, und sie müssen zur Arbeit, Schule oder Universität durch die Stadt. Die „Colectivos“, die Linienbusse, klappen ihre Rückspiegel ein, und ihre Fahrer drücken den rechten Fuß durch: Mit Vollgas und Vollbremsung im Sekundentakt fahren sie im Slalom um die Autos herum, bis sich alles verkeilt. Pech hat, wer im Feierabendstau neben einem der Colectivos feststeckt. Was aus deren mächtigen Auspuffrohren qualmt, ist in der Regel pechschwarz. Dazu kommt der Lärm: Sind am Autoradio nicht alle Regler nach rechts gedreht, ist die Musik kaum zu hören. Abends steigt der Anteil vom Atemgift Kohlenmonoxid in der Luft in der Regel auf knapp 18 ppm (Teilchen pro eine Millionen Teilchen Luft), deutlich mehr, als das Gesetz als Höchstgrenze für Buenos Aires erlaubt.

Die alten Busse gehören zu den Hauptluftverschmutzern in Buenos Aires. Die durchschnittliche Belastung mit Rußpartikeln in der Luft ist hier doppelt so hoch wie der deutsche Grenzwert. Nur die großen Firmen satteln langsam auf abgasarme Gefährte um.

Der mörderische Verkehr hinterläßt seine Spuren. Am 26. November vergangenen Jahres zeigten die Apparaturen der einzigen Luftmeßstation der Stadt einen neuen Rekord an: 26,5ppm, also 26,5 Teilchen Kohlenmonoxid auf eine Millionen Teilchen Luft. Die Weltgesundheitsorganisation hat ganze 9 ppm als Obergrenze festgelegt. „Die Meßstation steht aber auch im Zentrum, an einer sehr befahrenen Kreuzung“, verteidigte sich Enrique Garcia Espil, Umweltminister der Stadt. Dennoch veröffentlichen Zeitungen seither täglich die ppm-Werte – unter 9 fallen sie im Sommer fast nie. An rund 80 Prozent der Luftverschmutzung ist hier das Auto schuld. Buenos Aires hat dabei noch Glück: Ein stetiger Wind bläst den Dreck auf den Rio de la Plata hinaus. Daher hat die Stadt auch ihren Namen „Buenos Aires“ („gute Winde“) – sie retten die Metropole vor dem Atemkollaps.

In Buenos Aires konzentriert sich ein Viertel des Fuhrparks Argentiniens, mehr als zwei Millionen Autos drängen sich täglich durch die Stadt. Wegen des Lärms und der Luftqualität zieht es viele Stadtbewohner nach draußen, was den Verkehr im Zentrum nur noch schlimmer werden läßt. Viele, die es sich leisten können, verkaufen ihr Apartment in der Stadt und ziehen an den Rand der engen Metropole. Für ein Haus im Grünen nehmen sie es auch gern auf sich, drei Stunden für Hin- und Rückweg pro Tag im Auto zu verbringen. In der Regel fährt es sich am Morgen die erste halbe Stunde recht erholsam auf der Autobahn, aber im Zentrum geht der Nahkampf los, und das heißt eine gute Stunde Stop-and-go-Verkehr durch enge Straßen, ständig im Kriegszustand mit Taxis und Colectivos. Ingo Malcher