„Zur Koalition mit der PDS gibt es keine Alternative“

■ Der ostdeutsche Bürgerrechtler Jens Reich über die Unausweichlichkeit des rot-roten Bündnisses in Mecklenburg-Vorpommern sowie über die Perspektiven der PDS zwischen Regieren und radikaler Systemopposition: Das ist wie ein Wechsel der Fronten

taz: Neun Jahre sind seit der friedlichen Revolution von 1989 vergangen, und schon ist die PDS wieder an der Macht. Ist das ein historischer Durchbruch oder ist das ein historischer Fehler?

Jens Reich: Das wird erst die Zukunft zeigen. Ich bin wenig erfreut darüber, daß die PDS in der Regierung sitzt. Die Konstellation in Mecklenburg-Vorpommern läßt gegenwärtig jedoch gar nichts anderes zu.

Aber träumen lassen haben Sie sich das 1989 nicht.

Natürlich nicht. Ich gehörte damals zu denjenigen, die mit einem Ende der PDS oder zumindest mit ihrer Schwächung eher früher als später gerechnet haben

Die Annahme hat sich als falsch erwiesen. Heute kann man nur lakonisch feststellen, daß 1989 ja auch schon wieder neun Jahre hinter uns liegt. Der Verweis auf die friedliche Revolution bringt nicht mehr viel.

Ist das etwas, was Sie bedauern?

Was soll ich da bedauern? Das ist nach einem Jahrzehnt nun mal so: Alles, was früher war, rückt in die Ferne, es wird vielleicht vergoldet oder auch vergessen. Das ist menschlich ganz verständlich. Dieser Entwicklung kann sich die Politik auf Dauer nicht entziehen. Das sollte man nicht moralisch bewerten.

Sie sagen, zu einer Koalition mit der PDS gibt es in Mecklenburg-Vorpommern keine Alternative. Warum nicht?

Im Osten hat sich ein Dreiparteiensystem herausgebildet. Da gibt es nicht viel Spielraum. Wenn die SPD, die stärkste Partei, nicht mit der CDU koalieren möchte – in Schwerin hat die Große Koalition gerade abgewirtschaftet –, dann bleibt arithmetisch wie politisch keine andere Möglichkeit, als mit der PDS zusammenzugehen.

In Sachsen-Anhalt regiert eine Minderheitsregierung der Sozialdemokraten unter Tolerierung der PDS.

Das ist eine Variante. Ich persönlich finde das Tolerierungsmodell aber lächerlich. Für die PDS in Sachsen-Anhalt ist es bequem: Sie kann Opposition spielen und gleichzeitig mit am Regierungstisch sitzen. Und die SPD muß Rücksichten nehmen, die sie nie offen erklären kann.

Die Sozialdemokratie steht im Osten also nur vor der Alternative: Koalition mit der CDU oder mit der PDS?

Ja, und sie muß sich klar entscheiden. In Mecklenburg-Vorpommern hat sie nach den Wahlergebnissen gar keine andere Wahl, als die PDS mit in die Regierung zu nehmen. Da reicht ein Blick ins Grundgesetz und auf die Praxis der parlamentarischen Demokratie in der Bundesrepublik.

Ist die SPD an diesem Zustand der Alternativlosigkeit selbst schuld?

CDU wie SPD haben in den zurückliegenden Jahren keine durchdachte Strategie für den Umgang mit der PDS entwickelt, das ist richtig. Sie haben die Partei unterschätzt und geglaubt, das Problem mit ihr erledigt sich von selbst.

Die SPD hat es seit 1989/90 mehrmals versäumt, sich den Mitgliedern und Funktionsträgern der SED zu öffnen. Die mittleren politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Eliten der DDR finden Sie fast ausschließlich in den Reihen der PDS oder in gar keiner Partei. In anderen osteuropäischen Ländern sind die Reformsozialisten oft bei den Sozialdemokraten anzutreffen.

Ist die PDS bereits eine demokratische Partei, die reif für die Macht ist?

Die Frage ist mir zu akademisch gestellt. Die PDS ist einfach da, sie ist ein fester Bestandteil des demokratischen Parteienspektrums. Sie sitzt mit einer eigenen Fraktion im Bundestag. Sie ist stabil genug, auch künftig die Fünfprozenthürde zu nehmen. Sie wird konstant von zwanzig Prozent der Ostdeutschen gewählt. Sie lebt nicht nur vom Ressentiment und ist auch keine Single-issue-Partei, sondern hat ein politisches Gesamtprogramm, so fragwürdig es im einzelnen auch sein mag. Hier gilt das Prinzip der repräsentativen Vertretung des Volkssouveräns. Es bleibt nichts anderes übrig, als die PDS genauso zu behandeln wie alle anderen Parteien auch.

Das ist unbestritten. Trotzdem stellt sich doch für eine Partei, die regieren will, die Frage, ob sie in ihrer inneren Verfaßtheit demokratisch ist.

Das ist richtig, aber es steht auf einem anderen Blatt.

Und wie lautet die Antwort auf die Frage?

Ich weiß es nicht genau. Die Antwort sollte die Partei selbst geben, und zwar, indem sie mitregiert. Die Phrasen, die in den Sonntagsreden und in den Parteiprogrammen von sich gegeben werden, sind dafür doch nicht ausschlaggebend. Erst jetzt wird sich entscheiden, ob die PDS diesen Staat mitgestalten kann oder ob sie sich weiter als systemoppositionelle Partei aufspielen will. Die ersten PDS-Minister in der Geschichte der Bundesrepublik sind unter anderem für Arbeit und Soziales zuständig – mit ihrem Wahlkampfslogan „Arbeit her!“ werden sie nicht weit kommen.

Die PDS betrachtet die Regierungsbeteiligung in Mecklenburg- Vorpommern als symbolischen Durchbruch. Wird es den Mitgliedern und Sympathisanten der Partei dadurch leichter gemacht, im Westen anzukommen?

Ja, dieser Prozeß ist unausweichlich. In meinem Umfeld – ich lebe in Berlin in einem Stadtbezirk, in dem die PDS eines ihrer vier Direktmandate gewonnen hat – merke ich jetzt schon erste Veränderungen. Die gekränkte, manchmal sogar verächtliche Grundsatzopposition gegenüber „dem System“ ist von denkenden Menschen nicht mehr aufrechtzuerhalten, wenn die PDS mitregiert. Das ist wie ein Wechsel der Fronten. Interview: Jens König