Zum ersten Mal wird die PDS in einem Bundesland mitregieren. Die Parteitage von SPD und PDS in Mecklenburg-Vorpommern beschlossen mit großen Mehrheiten die ausgehandelte Koalitionsvereinbarung. So richtig zum Feiern ist den einstigen Staats

Zum ersten Mal wird die PDS in einem Bundesland mitregieren. Die Parteitage von SPD und PDS in Mecklenburg-Vorpommern beschlossen mit großen Mehrheiten die ausgehandelte Koalitionsvereinbarung. So richtig zum Feiern ist den einstigen Staatssozialisten aber nicht zumute

Zäsur ohne großes Spektakel

Gregor nölt, daß es keinen Sekt gibt. Statt dessen steht ein Bier vor ihm. „Ein kleines“, betont er. Immerhin. Die anderen müssen mit Wasser vorlieb nehmen. Aber Cati will sowieso nur schleunigst heim, ihr Häuschen renovieren. Helmut sieht aus, als habe man ihn gezwungen, 30 Stunden Video am Stück zu gucken. „Ich möchte für euch Helmut bleiben“, diesen Wunsch hat Helmut, Nachname Holter, Landesvorsitzender der PDS und künftiger Bau- und Arbeitsminister von Mecklenburg-Vorpommern, seinen versammelten Genossinnen und Genossen zuvor noch mit auf den Weg gegeben.

Zustimmung zur Koalition mit deutlichen Mehrheiten

Es ist Samstag abend in Parchim. Der Sonderparteitag der PDS von Mecklenburg-Vorpommern ist zu Ende. Die bundesweit erste rot- rote Koalitionsregierung steht. Mehrheiten, wie sie deutlicher kaum hätten sein können, haben die Landesparteidelegierten von PDS und SPD in Parchim und Güstrow dem umstrittenen Linksbündnis beschert. Die PDS-Delegierten strömen stumm aus der Parchimer Stadthalle. So als kämen sie aus einem Mitmachtheater, das sie zu Hauptdarstellern machte mit Entscheidungen, deren Konsequenzen noch nicht abschätzbar sind.

Zurück bleibt die ermattete Veranstaltungsleitung, die mehr als acht Stunden für die rot-rote Koalition gestritten hat. Caterina „Cati“ Muth, PDS-Fraktionsvorsitzende im Schweriner Landtag, die wehmütig sinniert, daß künftig „ein Stück Leichtigkeit in der eigenen Politik verlorengeht“. Helmut Holter, der seine neuen Ministerwürden „erst mal verarbeiten“ will. Und Gregor Gysi, der aus Bonn angereiste quirlige Chef der PDS-Bundestagsfraktion, der von einer „historischen Zäsur“ spricht. Immer noch ohne Sekt. Weil niemandem das samstägliche Politspektakel von Mecklenburg-Vorpommern so richtig geheuer ist, wird die „Abwahl der CDU“, der „Aufbruch in eine links regierte Legislaturperiode“, der „politische Klimawechsel“, oder was immer man mit dem neuen Landesbündnis verbinden mag, auch nicht ausgelassen gefeiert.

„Ihr habt heute die Bundesrepublik Deutschland verändert“, ruft Gregor Gysi. Fragt sich nur, wie. Sicher, es gibt Hoffnungen, zahlreiche. Beispielsweise bei Erziehern und Lehrern. Die sechsjährige Grundschule, die wieder eingeführt werden soll, hat sich als das pädagogisch bessere Konzept erwiesen. Aber ist diese Erkenntnis ausgesprochen „rot-rot“?

Ernüchterung: Rot-Rot wird kein Selbstläufer

Es ist, als laste ein ungeheurer Druck auf SPD und PDS, diese Erwartungshaltung vieler, vor allem von Politbeobachtern aus dem Westteil der Republik, zu erfüllen. Unermüdlich beschwörte der künftige SPD-Ministerpräsident Harald Ringstorff seine Delegierten am Samstag, daß der „politische Klimawechsel“ nach den leidigen Jahren der Großen Koalition kurz bevorstehe. Statt „Ausgrenzung“ solle es einen „fairen Umgang“ miteinander geben. Sprach's und konnte wenige Minuten später im Fernsehsender Phönix, der den PDS-Parteitag auch zur SPD direkt übertrug, den Beweis des Gegenteils live miterleben: „Inkompetent“ sei der SPD- Mann Rolf Eggert in den vergangenen vier Jahren als Justizminister gewesen, lästerte auf Phönix der PDS-Landtagsabgeordnete Arnold Schoenenburg über den künftigen Koalitionspartner. „Herzlich schlecht“ habe er seine Arbeit gemacht, mobbte Schoenenburg, aber jetzt werde Eggert ja Wirtschaftsminister.

Ernüchterung macht sich breit. Rot-Rot ist nicht unbedingt ein Selbstgänger, auch wenn sich das viele wünschen. Vielmehr werden die praktischen Probleme den Alltag bestimmen. Es gibt Regionen in Vorpommern, wo jeder zweite keinen Job hat. Da nimmt nicht nur der DGB mit Erleichterung zur Kenntnis, daß die neue Landesregierung sich nun immerhin für eine Lehrstelle für jeden Jugendlichen einsetzt. Wenn auch ohne Garantie. Andererseits haben nach acht Jahren leerer Versprechungen über „blühende Landschaften“ die meisten gelernt, sich eine gesunde Skepsis zu bewahren. Vielleicht fällt deswegen der Jubel so verhalten aus. Hat nicht schließlich die PDS bereits jahrelang in den Kommunen mitregiert, ohne durch sonderlich revolutionäre Arbeitsmarktpolitik aufzufallen?

Im Mittelpunkt steht die Beschäftigungsfrage

Die Bevölkerung erwartet praktische Lösungen. Der öffentlich geförderte Beschäftigungssektor, ein Wort, das auszusprechen viele erst noch vor dem Spiegel lernen müssen, ist noch nicht deswegen ein Erfolg, weil SPD und PDS sich auf ihn verständigt haben. Vor allem die Sozialdemokraten wissen: Scheitert ihr Konzept, das die konservativen Kritiker im Westen an die alte „staatliche DDR-Versorgungsmentalität“ erinnert, wird man ihnen den Mißerfolg ewig hämisch ankreiden.

Im Land selbst ist die Erwartung an die neue mecklenburgische Landesregierung nicht, weitschweifige ideologische Konzepte zu entwickeln, sondern praktische Lösungen anzubieten – beispielsweise zur wirksamen Bekämpfung des Rechtsextremismus. Der SPD- Bürgermeister von Bad Kleinen und Landtagsabgeordnete Siegfried Friese stöhnt schon jetzt. Vor wenigen Wochen sind seine Wohnzimmerfensterscheiben eingeschlagen worden, nachdem er eine Demonstration von Rechtsradikalen in Bad Kleinen verboten hatte. „Das“, weiß Friese, „sind die Probleme, die wir lösen müssen.“ Heike Haarhoff, Parchim