Richter-Pogo gegen expliziete Punk-Musik

■ Anmelder einer Demonstration wegen Verunglimpfung des Staates zu 3.750 Mark Strafe verurteilt, weil er eine Kassette mit dem Punk-Song "Deutschland muß sterben" öffentlich abspielte. Der Song ist n

Wegen des bloßen Abspielens des Songs „Deutschland“ der Punk-Band Slime wurde gestern ein Angeklagter vom Amtsgericht Tiergarten zu einer Strafe von 150 Tagessätzen zu je 25 Mark (insgesamt 3.750 Mark) verurteilt. Nach Auffassung des Gerichts soll Christoph E. mit dem Refrain „Deutschland muß sterben, damit wir leben können“ auf einer öffentlichen Kundgebung den Straftatbestand der Verunglimpfung des Staates erfüllt haben.

Christoph E. hatte für den 3. September 1997 eine Kundgebung angemeldet. Anlaß: die bereits viermonatige Haft von Ulli L., der bei der 1.-Mai-Demonstration 1997 unter anderem wegen dieses Liedes verhaftet worden war. Er hatte im Lautsprecherwagen der Demonstration gesessen, als das inkriminierte Lied abgespielt wurde. Bereits im polizeilichen Auflagenbescheid für den 3. September hieß es, dieses Lied dürfe nicht gespielt werden, da es strafbar sei. Auf Rückfrage bei seinem Anwalt erhielt Christoph E. den Rat, es handle sich vermutlich um eine rechtswidrige Auflage der Polizei, da Musik unter die vom Grundgesetz geschützte Kunstfreiheit fällt. An rechtswidrige Auflagen müsse er sich nicht halten. Als gegen Schluß der Kundgebung dieses Lied durch den Lautsprecher erscholl, nahm die Polizei den Angeklagten fest und beschlagnahmte die Verstärkeranlage mit der Kassette als Tatmittel.

In der gestrigen Verhandlung, die durch den Widerspruch gegen einen gleichlautenden Strafbefehl nötig wurde, forderte Rechtsanwalt Schmidt-Reinholz für seinen Mandanten einen Freispruch. Außer den KünstlerInnen und AutorInnen, so der Anwalt, würden gemäß höchstrichterlicher Urteile auch die VermittlerInnen der Kunst, wie etwa VerlegerInnen und ModeratorInnen, durch die grundgesetzlich garantierte Kunstfreiheit ausdrücklich geschützt. Lediglich wenn der Liedtext durch eigene gleichlautende Parolen unterstützt werde, sei eine mögliche Strafbarkeit gegeben, was hier aber – von der Staatsanwaltschaft unbestritten – nicht der Fall war.

Dennoch schloß sich der Richter in seinem Urteil gegen den bisher unbescholtenen Angeklagten der Forderung des Staatsanwalts Feuerbach an. Der Inhalt des Liedes sei aufgrund des Zusammenwirkens von Text und Musik eine erhebliche und grobe Mißachtungskundgebung gegen die Bundesrepublik Deutschland, argumentierte der Richter. Nach der Vorwarnung sei die Tat daher ein erhebliches Fehlverhalten, das nur knapp unterhalb einer Freiheitsstrafe bestraft werden müßte. Christoph E. will Berufung einlegen.

Das Lied entstand bereits Anfang der 80er Jahre in Hamburg. Es ist keineswegs verboten oder auf irgendeinem Index und wurde seitdem häufig im Radio, auf vielen Demonstrationen und auf Hunderten von Konzerten von Slime gespielt. In jedem größeren Plattenladen ist es in der Punk-Abteilung erhältlich. Bernhard Hummel