Rot-rote Erkenntnisse

Die Schweriner rot-rote Koalition bricht die Dämme gegen die PDS. Kehrt die Partei im Osten an die Macht zurück?  ■ Von Nick Reimer

Erfurt (taz) – Ginge es nach Karl-Heinz Reck, würde Deutschland schon bald eine zweite rot- rote Landesregierung erleben. Reck, in Sachsen-Anhalt Kultusminister, bot der PDS vergangene Woche eine Regierungsbeteiligung an. Über eine Koalition mit der PDS „muß man jetzt reden“, erklärte der SPD-Spitzenpolitiker. Noch vor Jahresfrist wäre nach derlei Statement ein Sturm der Entrüstung ausgebrochen. Um Schröders Wahlsieg nicht zu gefährden, hatten sich die Magdeburger Genossen deshalb nach der Landtagswahl im April mit einem Bann belegt: Bloß keine Schlagzeilen über die Zusammenarbeit mit der PDS. Mit der ersten rot-roten Regierung hat sich nun die politische Landschaft drastisch verändert. Das merkt auch Beck: Diesmal nahm vom SPD-Vorstoß kaum jemand Notiz. Brechen jetzt also die gegen die PDS aufgebauten Dämme?

Rechnerisch könnte schon in einem Jahr die PDS in Ostdeutschland mitregieren. Würden etwa die Sachsen bei der nächsten Landtagswahl so wie am 27. September votieren, wäre nur Rot-Rot als Alternative zur verhaßten Großen Koalition denkbar. In Thüringen verfügen PDS und SPD schon heute zusammen über eine Mehrheit der Landtagssitze. Um die absolute Mehrheit der SPD in Brandenburg zu knacken, will PDS- Chef Lothar Bisky im kommenden Jahr als Spitzenkandidat antreten. „Für mich ist denkbar, an einer künftigen Landesregierung beteiligt zu sein“, so der Potsdamer Oppositionsführer. Und in Magdeburg scheint das Tolerierungsmodell erstmals in einer Sackgasse zu stecken.

Doch das Rechnerische ist nicht überall das politisch Machbare. Man sei für eine Regierungsbeteiligung noch nicht reif, erklärte etwa Holger Hensgen, Schatzmeister der Thüringer PDS. Erst einmal müsse man eigene Regierungsstrategien entwerfen, danach die Schnittmenge mit der SPD ausloten. So viel scheint jedoch festzustehen: Die Thüringer PDS verspürt derzeit wenig Lust auf Königsmord. Obwohl rechnerisch machbar, stehe man für den Sturz der Regierung Bernhard Vogels nicht zur Verfügung, so Hensgen. Auch eine vorgezogene Neuwahl – mit der die SPD liebäugelt – ist derzeit kein Thema. „Die SPD will doch nur den Schröder-Nimbus für sich nutzen“, so Hensgen. Oberstes Ziel bleibe aber, die von der CDU geführte Regierung abzulösen, so Landesgeschäftsführer Knut Koschewsky. Ob das durch Tolerierung oder Koalition geschieht, sei völlig offen. „Ich denke, daß das Wahlergebnis die Entscheidung fällt“, sagt Hensgen. Würde seine Partei den Stimmenanteil weiter ausbauen, läge ein klarer Wählerauftrag zur Koalition vor.

„Die tun so, als gäbe es uns gar nicht“, beklagt André Hahn die Isolierungspolitik der sächsischen SPD. Es gebe keinerlei Gespräche auf Fraktions- oder Landesebene. Auch krame die SPD „immer wieder das Totschlagargument hervor“, so der parlamentarische PDS-Geschäftsführer. Erst letzte Woche hatte Parteisprecher Volker Knauer erklärt, bei der sächsischen PDS stehe „immer noch nicht ihr Verhältnis zur Demokratie außer Frage“. Sicherlich wird sich die SPD in absehbarer Zeit auf die PDS zubewegen, glaubt Landeschef Peter Porsch. SPD-Chef Karl-Heinz Kunkel, der gern „die Bastion Biedenkopf schleifen“ möchte, kann das nicht ohne PDS. Ob sich das Klima bis zur Landtagswahl im Herbst 1999 aber so weit verbessert, daß eine Zusammenarbeit denkbar ist, ist fraglich.

Daß sich Sachsen-Anhalts Kultusminister Reck so weit vorgewagt hat, zeigt den Stimmungswandel in der SPD. Reinhard Höppner, Regierungschef in Magdeburg, bringt den SPD-Erkenntnisprozeß auf den Punkt: „Es kann auf Dauer nicht sein, daß die SPD in Ostdeutschland für das schlechte Wetter zuständig ist und die PDS für das schöne.“