Flut bestraft alte Fehler

■ Kanalisierte Flüsse, ausufernde Ortschaften und zögerliche Umsetzung von Schutzprogrammen lassen immer öfter die Pegel steigen

Berlin (taz) – Der erste Spatenstich kommt zu spät. Zwar beginnt morgen im baden-württembergischen Rastatt der Bau eines neuen Beckens, in dem das Rheinwasser in Auenwäldern zurückgehalten wird. Doch bis der Rhein dort auf diese ökologische Art gebändigt wird, vergehen noch mindestens fünf Jahre. Und auch insgesamt, so die Kritik des World Wide Fund for Nature (WWF), bleiben die Bundesländer beim Hochwasserschutz weit hinter den selbstgesteckten Zielen zurück. Auch der grüne Bundesumweltminister Jürgen Trittin machte „Fehlentscheidungen von Ländern, Kreisen und Gemeinden“ für die Situation mitverantwortlich.

Hochwasser ist ein Naturereignis – allerdings durch menschliche Einflüsse verstärkt. Seit je siedeln Menschen dort, wo die Flüsse überlaufen. Für die Schiffahrt wurden die verschlungenen Flußläufe begradigt, so daß das Wasser viel schneller strömt. Durch Flächenversiegelung versickert immer weniger Wasser, das die Bäche anschwellen läßt. Vor allem sind den Flüssen ihre Überschwemmungsgebiete durch Deiche genommen worden. Der Rhein verlor allein in Nordrhein-Westfalen nach Angaben des BUND 1.500 von ursprünglich 1.800 Quadratkilometer Schwemmland. Zwischen Basel und Worms wurde der Fluß um 60 Prozent seines Überlaufbeckens gebracht. Die Folgen: „In den letzten 15 Jahren hatten wir so viele starke Hochwasser wie in den 150 Jahren davor“, sagt Emil Dister vom WWF.

Spätestens seit 1978 sind diese Fakten durch die „Internationale Hochwasserstudienkommission für den Rhein“ bekannt. 1982 vereinbarten Deutschland und Frankreich, die Hochwassergefährdung mit insgesamt 800 Millionen Mark auf den Stand von 1955 zurückzuführen – unter anderem durch 75 Quadratkilometer Auenwälder. „Für etwa 250 Millionen Kubikmeter Wasser sollen Aufnahmemöglichkeiten geschaffen werden“, so Dister – das entspricht 20.000 Fußballfeldern, die zwei Meter hoch unter Wasser stehen. „Doch von dem Ziel, das bereits 1990 realisiert sein sollte, sind bisher erst zwei Drittel erreicht.“

„Baden-Württemberg gibt in diesem Jahr etwa 100 Millionen Mark für den Hochwasserschutz aus“, sagt Michaela Preuß vom Umweltministerium in Stuttgart. Neben dem Bau von Poldern und Wehren würden vor allem kleinere Flüsse renaturiert. Schließlich sollen über 100 Meßpunkte eine anrollende Hochwasserwelle frühzeitig melden. An der Mosel wiederum, heißt es von Roland Horne aus dem Umweltministerium Rheinland-Pfalz, ist nicht viel zu machen: „Das Tal ist eng, die Hänge steil, und die Menschen siedeln im Flußtal. Das Land gibt für Hochwasserschutz auch einige hundert Millionen Mark in den nächsten Jahren aus. Aber Hochwasser wird es hier immer geben.“

Das ist dem WWF zu kurz gedacht. Um Hochwasser an der Mosel zu verhindern, müsse man mit den Gemeinden im Einzugsgebiet des Flusses in Frankreich und Luxemburg verhandeln. Ohnehin, so Emil Dister, gebe es unter deutschen Gemeinden beim Hochwasserschutz inzwischen eine „unglaubliche Entsolidarisierung“. Eine Gemeinde, die Überlaufflächen statt Gewerbegebieten ausweise, müsse auf Einnahmen verzichten, um die Gemeinden stromabwärts zu schützen. „Ich kenne Bürgermeister, die zwar vollen Schutz für ihre Gemeinde durch andere Ort stromaufwärts verlangen, aber selbst keinen Quadratmeter Schutzraum ausweisen“, meint Dister. Der WWF rät daher inzwischen zu drastischen Maßnahmen: Gemeinden sollten ihre Flutschäden bei Ortschaften stromaufwärts einklagen. Bernhard Pötter