Rockisten-Kasatschok

■ Gebrochenes Versprechen: R.E.M. gaben im Grünspan ein „Geheimkonzert“

Als habe er ein Puppentheater anzukündigen, ruft Alan Bangs: „Seid ihr alle aufgeregt?“ Die Besucher müßten jetzt „Ja!“ rufen, rufen aber „Yeah!“ – denn sie sind volljährig und warten in einem Rockclub. Bangs steht auf der Bühne des Grünspan, um den Auftritt von R.E.M. für den WDR-Rockpalast anzumoderieren. Vor ihm sind Fernsehkameras aufgebaut, gut 15 Radiosender schneiden die Show zusätzlich mit. R.E.M. geben für ihr neues Album Up! Promokonzerte in den europäischen, ähm, Medienstädten, ins Grünspan durften deshalb am Montag abend nur geladene Gäste: Fanclub-Mitglieder und Glücksspieler, die ihre Karten gewonnen haben, jubeln unten im gut gefüllten Saal, rund hundert Journalisten und Plattenfirmen-Mitarbeiter plauschen oben auf der Empore.

Auch Michael Stipe begrüßt das Publikum: „Seid alle sexy heute abend!“ Peter Buck und Mike Mills, den anderen beiden nach dem Ausstieg des Drummers Bill Berry verbliebenen R.E.M.-Mitgliedern, dürfte das schwer fallen: Beide sehen wirklich scheiße aus. Mills erinnert inzwischen an Eric Clapton und Buck vollführt beim Gitarrespielen einen grotesken Rockisten-Kasatschok. Stipe dagegen gibt den tapsigen Entertainer, bewegt sich mädchenhaft und hat ein enges, fast transparentes Hemd angezogen.

Mit „Losing My Religion“ fängt die Band an, begleitet von drei weiteren Musikern, dann folgen größtenteils Lieder der neuen Platte, zuletzt wieder ein alter Hit: „Man On The Moon“. Als Stipe bei der Zugabe, dem Schmusimusi-Klassiker „Spooky“, das Textblatt geklaut wird, bittet er die Zuschauer, es ihm zurückzugeben – sie machen es tatsächlich. Als er die Zuschauer anschließend auffordert, nun ihre Hemden und BHs auszuziehen, folgt ihm keiner. So sind sie, die R.E.M.-Fans. Die stört auch nicht, daß die Band das mit Up! gegebene Versprechen auf Erneuerung live nicht erfüllt – der Name R.E.M. klingt zu Recht wie der einer Partei. So war das Beste an der Veranstaltung der Titel: „Geheimkonzert“.

Sebastian Hammelehle