„Tributylzinn ist ein Teufelszeug“

■ Tributylzinn (TBT) in Schiffsfarben macht krank – ein Vulkanese packt aus über unhaltbare Arbeitsbedingungen

Der Bremer Arbeiter Rudolf Wolniczak (66) hat dreißig Jahre lang Tributylzinn-haltige Farben auf Schiffsrümpfe gesprüht. Sein Körper ist vergiftet. Er hat schweres Asthma. Ursache seiner Vergiftung sei die Arbeit mit TBT-Farben, sagt die Arbeitsärztin. Wegen Langzeitschäden als Folge der gefährlichen Arbeit auf der Vulkanwerft als Maler mit TBT- Farben hat Rudolf Wolniczak bei der Berufsgenossenschaft eine Anerkennung seines Asthmas als Berufskrankheit beantragt. Zum ersten Mal wäre damit festgestellt, das TBT verheerende Langzeitfolgen auch auf Menschen hat.

taz: Wie geht es Ihnen?

Rudolf Wolniczak: Sie hören es ja. Es pfeift. Ich nehme 12 verschiedene Medikamente am Tag. Treppen steigen macht mich fertig. Am liebsten sitz ich auf der Veranda.

Und wie fühlen Sie sich als Präzedenzfall?

Was?

Sie wären der Erste, bei dem Schäden durch die Arbeit mit Tributylzinn-haltigen Farben anerkannt werden.

Ich hab mich darum nicht gekümmert. Das hat die Ärztin gesagt. Im übrigen hab ich viele Kollegen, denen es gesundheitlich genauso schlecht geht wie mir.

Hat sich ihre Arbeit wenigstens gelohnt?

Keiner hat so viel verdient wie wir. Wir haben Stundenlöhne in den 60er Jahren bekommen als Ungelernte, die waren mehr als ein Studierter bekam.

Wie kamen Sie zur Bremer Vulkanwerft?

Ich habe 1959 als Fischer abgemustert und 1960 bei der Bremer Firma Sarsted, jetzt LPS, als ungelernter Arbeiter angeheuert.

Was mußten sie als Fremdfirma beim Bremer Vulkan machen?

Wir waren auf dem Vulkan die „Schietgäng“. So wurden alle Arbeiter von Fremdfirmen genannt. Wir haben alles gemacht, was anlag, was schnell gehen mußte und was die Vulkanarbeiter nicht machen wollten.

Was wollten die nicht machen?

Wir waren Tag und Nacht im Einsatz. Weihnachten oder Feiertage gab es nicht. Wenn die Farbe auf die Schiffe mußte, haben wir sie drauf gemacht. Flexibel waren wir eben. Wenn wir nicht malen mußten haben wir eben das Deck aufgeräumt.

Wie war das mit dem Farbanstrich?

Das war schon klar, daß die Antifoulingfarben nicht so gesund sind. Also, da gab es keinen Bewuchs mehr an den Schiffsrümpfen. Früher mußte man den Belag von Algen und Seepocken richtig von der Bordwand abstechen. Aber mit den TBT-Farben waren die Schiffsrümpfe immer glatt. TBT hat, sagen wir mal, alles weggemacht. Da war kein Bewuchs mehr, nichts.

Und Sie haben diese Farben aufgetragen?

Wir haben gesprüht. Erst gab es so Schwämme, die mußten vor den Mund gehalten werden. Um die Schwämme war immer alles wund im Gesicht. Aber alle, die daneben standen, ich meine neben dem Sprühen, die hatten keine Schwämme. Später gab es dann Masken. Die waren aber nur Vorschrift für die Sprüher. Alle anderen haben die Farben natürlich eingeatmet.

Wußten Sie, daß die Farben gefährlich sind?

Wir haben immer so Zettel bekommen, da stand drauf, wie man die Farben verarbeiten muß.

Das heißt, Sie haben gesprüht und die Farben flogen durch die Luft?

Ging ja nicht anders. Die Vulkanesen dachten, wir wären besoffen. Nach zwei Stunden sprühen, hattest du es im Hirn.

Und dann?

Dann sind wir an die frische Luft gegangen.

Wie? Sie standen doch vor dem Schiff unter freiem Himmel.

Ja. Aber da war doch immer der Nebel von der Farbe.

Wenn es einem Kollegen schlecht oder schwindelig wurde, was passierte dann?

Wir haben das immer gesagt. Die Arbeiter der Vulkanwerft, die den Farbnebel eingeatmet haben, bekamen eine Extraration Milch.

Milch?

Der Hals war trocken und immer das Husten. Einige haben sogar ohne Anschiß Bier auf das Gerüst nehmen dürfen.

Haben Sie nie nach den Ursachen von ihrem Hautausschlag gefragt?

Doch. Aber die Farbenlieferanten: International, Hempel, Jouton oder wie sie alle heißen, haben nie genau gesagt, was tatsächlich in den Farben ist. Bei einem Kollegen riß beim Anstreichen der Druckschlauch. Er hat sich an der Hand verletzt. Die Hand mußte amputiert werden, weil die Ärzte nicht wußten, was genau in der Schiffsfarbe war.

Gab es noch mehr Probleme?

Da war mal ein Kollege, dem war schwindelig von der Farbe. Der ist an Deck ausgerutscht und in einen Schacht gefallen. Da ist er dann erstickt.

Fragen: Thomas Schumacher