Zwiebeln verursachen Regierungskrise

■ Indien wird von einer Zwiebelknappheit erfaßt. Die Zwiebelpreise sind nicht nur sakrosankt, sondern auch ein sensibles Polit-Barometer

Delhi (taz) – Als Jaspal Bhatti kürzlich auf dem Gemüsemarkt von Chandigarh auftauchte, war er von bewaffneten Leibwächtern umringt. Der Grund war nicht Bhattis VIP-Status, vielmehr wollte der Humorist Zwiebeln kaufen. Denn Zwiebeln sind dieser Tage so teuer, daß sie VIP-Schutz verdienen. Bhattis landesbekannte Inszenierungen – er führte auch eine Modenschau durch, bei der die Modelle Zwiebeln über den Laufsteg trugen – wurden in Delhi inzwischen von einer Realsatire überholt. Bei einem Einbruch rafften die Diebe nicht nur Geld zusammen, sondern ließen gleich noch einen Sack Zwiebeln mitgehen.

Die Verkäufer im Fair Price Shop im Defence Market hatten derweil nichts zu lachen. Vor dem Laden wurde die Menschenschlange immer länger und vor der Theke mit den Zwiebelsäcken zu einem streitenden Knäuel. Obwohl die Frucht inzwischen mit 60 Rupien (rund 2,50 Mark) das Fünffache des Normalpreises kostet, mußte der Verkauf auf ein Kilo pro Person begrenzt werden.

Die Zwiebelknappheit, die Indien seit zwei Monaten erfaßt, schlägt alle bisherigen Rekorde. Sie wurde durch die schlechte Ernte ausgelöst, durch die Unfähigkeit der staatlichen Vermarktungspolitik verschärft und erreichte ihren Höhepunkt, als Großhändler zu horten begannen und Hamsterkäufe auslösten. Trotz mäßiger Frühlingsernte hatte die Regierung die Ausfuhren nicht beschränkt und auch keine größeren Lager anlegen lassen. Doch der Monsun kam zu spät und es gab eine zweite schlechte Ernte. Schlechte Lagerhaltung ließ ein Viertel der Ernte verfaulen.

Schließlich dauerte es 36 Tage, bis die Regierung den Ernst der Situation erkannte. Zwiebel-Ausfuhren wurden gestoppt, Importe freigegeben, Zölle gestrichen. Die Zwiebeln, die Indien kurz zuvor in die Emirate und nach Iran exportierte, wurden zurückgekauft.

Zwiebeln sind ein wesentlicher Bestandteil der indischen Küche. Politische Bedeutung erhalten sie, weil sie für die Armen zur eisernen Eßration gehören. Wenn sich der Rikschafahrer Vinod Kumar zum Reis und Dal keinen Curry leisten kann, beißt er stattdessen in eine Zwiebel, so wie andere einen Apfel essen. In Indiens Demokratie ist der Zwiebelpreis daher ein sensibles Barometer. Man verzeiht einer Regierung sogar ihre Korruption – aber sie muß Nahrungsmittel zu stabilen Preisen auf den Markt bringen. 1980 gewann Indira Gandhi die Wahlen, weil sie die hohen Zwiebelpreise der Regierung in die Schuhe schieben konnte. Immer wieder werden Bilder von Politikern mit einer Zwiebelgirlande umhängt, weil sie nicht fähig waren, die Nahrungsmittelpreise niedrig zu halten.

Diesmal muß die von der hindunationalistischen BJP geführte Regierung die Girlanden in Empfang nehmen. Sie wird für die Preiseskalation verantwortlich gemacht, die inzwischen von Zwiebeln auf Kartoffeln und Tomaten übergegriffen hat. Das trifft die BJP ausgerechnet in Wahlkampfzeiten. Ende November gehen die Wähler in drei Bundesstaaten, darunter der Hauptstadt Delhi, an die Urnen. Delhis BJP-Regierungschef S. S. Verma mußte bereits seinen Hut nehmen, nachdem er behauptet hatte, daß „arme Leute ohnehin keine Zwiebeln essen“. Seine Nachfolgerin Sushma Swaraj versprach Zwiebeln zum Kilopreis von fünf Rupien. Doch als dies nicht eintraf, kam es zu neuen Panikkäufen.

Das Mißtrauen ist Wasser auf die Mühlen der Opposition. Statt Wahlkampf zu führen, setzt sie Gerüchte in die Welt. Am vergangenen Wochenende verbreitete sich die Nachricht, daß Kochsalz knapp werde. Im Nu waren die Ladenregale leergefegt, da Kunden sich gleich für Jahre eindeckten. Das Gerücht war vollkommen aus der Luft gegriffen: Indien sitzt auf einem Salzlager von 6,8 Millionen Tonnen. Bernard Imhasly