Anti-Atom-Bewegung verlangt Sofortausstieg

■ Die Anti-Atomkraft-Initiativen sagen den Grünen den Kampf an. Sie fürchten, daß sich die Partei zu sehr dem Koalitionspartner SPD anpassen wird und einen Offenbarungseid leistet

„Bei unseren zukünftigen Widerstandsaktionen wollen wir die Grünen nur noch jenseits der Polizeiketten sehen.“ Die Aktivisten des bundesweiten Anti-Atom-Plenums verweigern fortan eine Zusammenarbeit mit den Grünen. Der „Offenbarungseid rot-grüner Atompolitik“ werde spätestens sichtbar, wenn ein grüner Bundesumweltminister Jürgen Trittin Atomtransporte ebenso durchpeitsche wie der grüne Polizeichef Hubert Wimber in Ahaus und nukleare Zwischenlager im Interesse der Atomwirtschaft genehmige.

Das grüne Image der Partei könnte in den kommenden vier Jahren erheblichen Schaden nehmen: Allein aus Frankreich stehen rund 3.500 Tonnen Atommüll zur Abfahrt nach Deutschland bereit, ohne daß ein Endlager in Sicht wäre. Jürgen Trittin (statt Ex-Bundesumweltministerin Angela Merkel) steht dann unter dem Druck von Schadenersatzforderungen aus Frankreich, sollte er die Transporte stoppen. Konfliktträchtig wird die Suche nach neuen Zwischenlagern, die die rot-grüne Koalition vereinbart hat.

Die ehemalige atompolitische Sprecherin der Grünen, Ursula Schönberger, warnt: „Frust herrscht in vielen Kreisverbänden.“ Denn Joschka Fischer und Jürgen Trittin hatten mit der SPD keine greifbaren Pläne für einen Ausstieg im Koalitionsvertrag vereinbart. Darum richten sich die noch verbliebenen Erwartungen der grünen Anti-Atom-Basis an die anstehenden Energiekonsensverhandlungen zwischen der zukünftigen Regierung und den AKW-Betreibern, die „zügig geführt werden sollen“. Mit offenem Ausgang: „Sollten die anstehenden Ausstiegsverhandlungen scheitern, wird das die grüne Partei zerreißen“, befürchtet die Europaabgeordnete Undine von Blottnitz, die gemeinsam mit Joschka Fischer vor fünf Jahren die ersten Konsensverhandlungen führte. „Konsens über die Beibehaltung der Atomkraftwerke für die nächsten 40 Jahre“ sei mit den Grünen nicht zu machen, hatte Fischer damals den Ausstieg der beiden aus den Verhandlungen begründet. Inzwischen sind aber bereits 30 Jahre Restlaufzeit der Reaktoren bei der SPD ausgemachte Sache.

Das Europaparlament stimmte sogar mehrheitlich für eine Überprüfung der „Verlängerung der Nutzungszeiten auf bis 50 oder 60 Jahre“ – gegen die Stimmen der Grünen, mit den Stimmen der Sozialdemokraten. Rund 180 Atomlobbyisten legten in Brüssel ihre Strategien für AKW-Restlaufzeiten von mehr als 40 Jahren fest.

Die Chefverhandler Trittin und Fischer lassen offen, mit welchen grünen Strategien dies zu verhindern ist. Unklar ist auch, warum das „Artikelgesetz noch nicht als Bestandteil der Verhandlungen festgelegt“ wurde, wie von Blottnitz kritisiert. Denn mit einer Änderung dieses Gesetzes würden die Atomunternehmen schon bald ihre Betriebsgenehmigungen verlieren. Die Kohl-Regierung hatte das Artikelgesetz vor fünf Jahren erlassen, damit die AKW-Betreiber trotz fehlendem Entsorgungsnachweis für ihren Atommüll die Reaktoren weiterbetreiben dürfen. Damals hatte die SPD nur zugestimmt, um die Kohlesubventionen für die SPD-geführten Länder Nordrhein-Westfalen und Saarland zu sichern.

Auch habe Werner Müller als zukünftiger Bundeswirtschaftsminister im Schröder-Kabinett damals für die Seite der AKW-Betreiber auf einen Ausstieg bezogen gesagt: „Wenn ihr uns das bezahlt, dann machen wir das.“ In den Verhandlungen müsse darum klar gemacht werden, „daß die Stromkonzerne viele Jahre sowohl von Kohle- als auch von Atomsubventionen profitiert haben und 50 Milliarden Mark Entsorgungsrückstellungen jederzeit versteuert werden können“. Den Ausstieg müßten also auch die Betreiber bezahlen, so die Atomexpertin. Sicher ist: Der Energiekonsens wird zeigen, wieviel den Parteien der Ausstieg wert ist und wie scharf den Grünen der Wind der Anti- Atom-Bewegung zukünftig ins Gesicht blasen wird. „Die vier Jahre werden ein Überlebenskampf für die Grünen“, meinte darum auch Schönberger mit Blick auf die anstehenden Verhandlungen und Ergebnisse.

Würden „AKW-Betriebszeiten von 40 Jahren“ ausgehandelt, so werde ein Teil der aktiven Basis die Partei verlassen, weil das „kein Ausstieg“ mehr sei. Wolfgang Ehmke, Sprecher der Bürgerinitiative Lüchow Dannenberg bei Gorleben, spricht bereits von einer „Kampfansage“ wegen geplanter Atomtransporte unter Rot-Grün. „Dann müssen sich unsere Wege trennen“, meinte BI-Sprecher Ehmke – wegen der möglicherweise unter grüner Aufsicht genehmigten Atommüllkonditionierungsanlage in Gorleben.

Dennoch verstehe er nicht, warum einige in der Bewegung „jetzt schon den neuen Feind, die Grünen“, ausgemacht hätten. Erst ihre zukünftige Politik sei für eine Bewertung ausschlaggebend. Peter Sennekamp