Leinen los für eine „neue Politik“

Ganz knapp nur wurde Harald Ringstorff (SPD) zum Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern gewählt. Bei seiner Vereidigung bat er um Vertrauen. Die rot-roten Genossen bleiben skeptisch  ■ Aus Schwerin Heike Haarhoff

Seine Stimme klingt belegt. „Ich nehme die Wahl an.“ Fünf Worte, denen kein bißchen Triumph anhaftet. Das Lächeln ist nicht das eines Siegers. Harald Ringstorff, der soeben zum ersten sozialdemokratischen Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern gewählt worden ist, hat die nötige Mehrheit des Landtags mit 39 von 71 Stimmen gestern nur knapp erreicht. 47 Stimmen hätten die Abgeordneten von SPD und PDS, die immerhin in den kommenden vier Jahren gemeinsam regieren wollen, ihm geben können. Acht verweigerten sich. Nicht gerade ein Schröder-Effekt.

Rot-Rot ist in den eigenen Reihen umstritten. Ringstorff spricht aus, was alle wissen: „Bei denen, die mir nicht vertrauen, werbe ich um Vertrauen.“

Schlicht, bescheiden, gar ein bißchen spröde. Die Enttäuschung ist ihm anzumerken. Das ist nicht die Rede eines Mannes, der am Ziel seiner politischen Ambitionen angekommen ist; der sich offensiv der Herausforderung stellt, diesem Gemisch aus Argwohn und Neugier, das seiner Koalition entgegenschwappt.

Doch es wäre nicht Ringstorffs Art mit 59 Jahren, von denen er die letzten neun als prägender Geist in der SPD im nordöstlichsten Bundesland als Landesvorsitzender, Wirtschaftsminister und Fraktionschef verbrachte, plötzlich von seinem Politikstil abzuweichen. Verglichen mit Ringstorff ist Rudolf Scharping eine Stimmungskanone der politischen Scharfzüngigkeit und des Witzes. Aber Ringstorff muß auch keine ideologischen Verbalschlachten im Bundestag parieren, sondern soll ein Land regieren, das mit massiven Problemen kämpft: Die Arbeitslosigkeit ist mit knapp 18 Prozent die bundesweit zweithöchste nach Sachsen-Anhalt. Immer wieder gerät Mecklenburg-Vorpommern wegen rechtsextremistischer Gewalttaten in die Schlagzeilen. Die Werftenindustrie liegt brach, viele Menschen tragen sich mit dem Gedanken abzuwandern.

In einer solchen Gemengelage ist einer, der so bodenständig ist wie Ringstorff, vielleicht gerade der richtige Mann. Mit dem gleichen Fleiß, mit dem er es zu DDR- Zeiten zum Doktor der Chemie brachte, wird er die Schwierigkeiten im Land angehen. Mit der gleichen Gewissenhaftigkeit, mit der er sich nach der Wende durch die Aktenberge bundesdeutscher Gesetzgebung quälte, wird er die Probleme abarbeiten. Nach Möglichkeit eines nach dem anderen.

In dem rot-roten Koalitionsvertrag sieht er, das betonte er gestern abermals, eine „gute Grundlage für eine vier Jahre währende, stabile Regierung“. Nüchterner geht es nicht. Dabei dürfte Ringstorff gestern in seinem Innern einen nie dagewesenen Sturm der Gefühle, des Jubels, des Sieges erlebt haben. Nach acht zähen politischen Jahren, die für ihn durch immer neue Niederlagen geprägt waren, ist er endlich am Ziel: Er, den die CDU als „machtgeil“ und „skrupellos“ diskreditiert, nimmt auf dem Sessel Platz, den er schon immer als für sich adäquat betrachtet hatte.

Leider teilten diese Einschätzung, daß der introvertierte Ringstorff das Zeug zum Ministerpräsidenten habe, in der Vergangenheit selbst seine eigenen Parteikollegen nicht. Als Ringstorff 1990 erstmals als SPD-Spitzenkandidat bei der Landtagswahl antreten wollte, setzte man ihm einen drittklassigen Westimport vor die Nase. Vier Jahre später durfte Ringstorff zwar, unterlag aber erneut dem amtierenden CDU-Regierungschef Berndt Seite. Ringstorff, der trotzig schon damals mit einem Bündnis mit der PDS liebäugelte, weil er deren Landeschef Helmut Holter für einen „lupenreinen Sozialdemokraten“ hält, wurde von der Bundes-SPD zurückgepfiffen.

In einer glücklosen Großen Koalition quälte er sich zunächst als Wirtschaftsminister dahin. Ende 1996, inmitten der großen Werftenkrise, hätte er die CDU zu gern mit Hilfe der PDS gestürzt – doch wieder hob Bonn den drohenden Zeigefinger.

Es sind diese Erfahrungen, die erst die Bedeutung seiner Worte erkennen lassen, wenn Ringstorff gestern verkündet, daß in Mecklenburg-Vorpommern „eine neue Politik“ einzieht. Kommentar Seite 12