Alle müssen bluten – doch manche mehr als andere. Nach den jetzt bekannt gewordenen Vorstellungen von Bundesfinanzminister Lafontaine sind es vor allem die Unternehmen, die die rot-grünen Wohltaten der Steuerreform bezahlen müssen. Von Reiner Metzger

Die Giftliste: Zahltag für Oskar

Lange war gerätselt worden, wie die Bundesregierung ihre Gaben vom erhöhten Kindergeld bis zum niedrigeren Spitzensteuersatz finanzieren will. Allerhand Listen aus längst vergangenen Tagen der Verhandlungen mit der Kohl-Regierung kursierten und verschwanden wieder. Nun gibt es eine inoffizielle, offenbar fast aktuelle Liste. Das Handelsblatt veröffentlichte gestern das Papier mit 72 Steuerschlupflöchern und Freibeträgen, die künftig aus den Gesetzen gestrichen werden sollen.

Darin fehlen einige politisch heiße Eisen, wie die von den Grünen geforderte Entfernungspauschale auch für Nichtautofahrer statt des bisher üblichen Kilometergeldes ausschließlich für Kfz- Nutzer. Auch zur geplanten Veränderung des Ehegattensplittings ist kein Wort zu lesen. Hier würde vor allem die traditionelle Ein- Verdiener-Arbeitnehmerfamilie mehr Steuern zahlen, Selbständige kommen nach Ansicht des Präsidenten des Bundesverbandes der Steuerzahler in Köln, Josef Sauerwald, leichter um solche Niederungen des Steuerrechts herum.

Unterm Strich zahlen die Unternehmen jedoch weit mehr als Arbeitnehmer und Häuslebauer – nach der Liste steht das Verhältnis bei 38 zu 6 Milliarden Mark. Diese Zahlen werden sich jedoch noch mehr oder weniger ändern: Einerseits sinken die Spitzensteuersätze für Privatpersonen und Firmen um einige Prozent, die 38 Milliarden werden also noch schrumpfen. Andererseits soll auf Arbeitnehmerseite noch das Ehegattensplitting, die Jahreswagenbesteuerung und anderes neu eingeschätzt werden. Da wird noch die eine oder andere Mark hinzukommen.

Im Finanz- und Wirtschaftsministerium haben die Lobbyverbände wochenlang glänzende Klinken hinterlassen, doch bei weitem nicht alle haben erfolgreich antichambriert. So hat zwar der neue Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke (SPD) getönt: „Wer bei den Bauern sparen will, der muß zuerst mich fragen“ – doch die Landwirte sind trotzdem von einer ganzen Reihe von Änderungen betroffen. Unterm Strich werden nach den Schätzungen der Bonner Finanzbeamten die Steuereinnahmen aus Land- und Forstwirtschaft um mindestens eine Milliarde Mark steigen. Auch Freibeträge für Häuslerenovierer, Sanierungsgebiete und Baudenkmäler werden teilweise fallen.

Die großen Batzen liegen jedoch bei Gewinnen und Abschreibungen in Unternehmen. Wenn eine Firma bisher einen außerordentlichen Gewinn erzielt – zum Beispiel durch den Verkauf eines Unternehmensteils oder durch ein einmaliges, besonders hohes Honorar –, wird derzeit nur der halbe Steuersatz für das Zusatzplus fällig. Künftig wird der volle Prozentsatz fällig, die Einnahmen können lediglich auf fünf Jahre verteilt angerechnet werden. Das soll 7,2 Milliarden Mark jährlich in die Staatskasse spülen. Hier sind vor allem Unternehmer betroffen, die ihren Betrieb verkaufen wollen. Dabei werden oft die in vielen Jahren angehäuften stillen Reserven durch den Kaufpreis aufgedeckt. Vor allem bei größeren Geschäften wird hier künftig der volle Spitzensteuersatz fällig, meinen Steuerberater.

Insgesamt 4,5 Milliarden Mark bringt die Streichung der „Teilwertabschreibung“. Das greift für Anlagen und Betriebsvermögen, die im Wert schwanken, wie zum Beispiel Firmengrundstücke. Künftig kann ein fallender Wert nicht mehr steuermindernd als Verlust in der Bilanz geltend gemacht werden. Ähnlich steht es mit der Einführung eines „Wertaufholungsgebots“ im Einkommensteuergesetz (EStG). Hier müssen künftig Wertsteigerungen von bereits erworbenem Betriebsvermögen als Gewinn ausgewiesen werden und sollen so mit 1,1 Milliarden Mark bei Finanzminister Lafontaine zu Buche schlagen.

Die Versicherungen müssen ihre Rückstellungen für Schäden wirklichkeitsnäher bewerten und dadurch etwa 3,2 Milliarden Mark mehr zahlen. Durch Änderungen bei anderen Rückstellungen und aufgedeckten stillen Reserven werden noch einmal 9 Milliarden fällig.

AKW-Betreiber trifft's besonders: Sie müssen ihre Rücklagen für „Stillegungs- und Beseitigungsverpflichtungen“ künftig auf 25 Jahre statt bisher 19 Jahre verteilt abschreiben. Dadurch können die Betreiber insgesamt pro Jahr 1,5 Milliarden Mark weniger als Verlust geltend machen. Andererseits ist das auch ein Hinweis, wie lange das Finanzministerium die Mindestbetriebsdauer eines Meilers einschätzt. Hier wird die Anti- Atom-Bewegung also die Endfassung der Steuergesetze genau studieren müssen.

Verluste aus einer Einnahmeart – wie die berüchtigten Immobilienabschreibungsfonds in den neuen Ländern – können künftig nicht mehr unbegrenzt auf andere Einnahmearten wie Firmengewinne angerechnet werden. Für jeden Bereich will das Finanzministerium eine Mindeststeuer austüfteln, die insgesamt eine Milliarde bringen soll.

Auch die Spekulationsfristen werden verlängert. Grundstücke müssen künftig zehn statt bisher zwei Jahre behalten werden, bevor der Fiskus leer ausgeht. Bei Wertpapieren verlängert sich die Frist von einem halben auf ein ganzes Jahr – was jedoch die spekulierenden Aktienbesitzer nur geschätzte 30 Millionen Mark mehr kosten wird.

Stärker als irgendwelche Spekulationssteuern wird bei den Arbeitnehmern die Halbierung der Freibeträge für Abfindungen zu Buche schlagen. Die Reform des zuständigen Paragraph 3, Absatz 9 des EStG kostet die Bürger 845 Millionen Mark. 105 Millionen werden fällig, weil besondere Zuwendungen des Arbeitgebers ebenfalls voll besteuert werden.

Der dickste Brocken auf seiten der kleineren Leute ist allerdings die Halbierung des Sparerfreibetrags von 6.000 auf 3.000 Mark (bei Verheirateten das Doppelte). Dieser Freibetrag ist im Volksmund vor allem als Quellensteuer bei den Guthabenzinsen bekannt. Die Halbierung bringt dem Fiskus gut 3 Milliarden Mark.

Wenn Beamte, Soldaten oder Minister künftig mit einem Übergangsgeld aus ihrem Dienstverhältnis entlassen werden, gibt es keine Steuerfreiheit mehr – macht noch einmal 105 Millionen für Oskar Lafontaine. Auch 20 Prozent der Auslandszuschläge für den öffentlichen Dienst sind künftig in der Steuererklärung bedeutsam.

Trotz aller Schmerzensschreie herrscht im Unternehmerlager über manche Punkte auch Erleichterung. So kann weiterhin ein hoher Verlust aus einem Jahr über mehrere Jahre hinweg abgeschrieben werden. Nur eine Steuerminderung der Bilanzen der vergangenen Jahre ist damit künftig nicht mehr möglich.

Der fertig ausgehandelte Referentenentwurf soll nun laut SPD- Fahrplan am Wochenende an die Spezialisten im Finanzministerium gehen. Die werden die Sache juristisch noch einmal gründlich durchgehen.

Schon am Dienstag kommender Woche wird ihn das Parlament sehen, und für Mittwoch plant die Bundesregierung ein Vorgehen à la Bill Clinton: Die Liste der Grausamkeiten wird ins Internet gestellt.