Warum mit großen Namen schmücken

■ Albert Mangelsdorff zur Kritik, dem Berliner JazzFest fehlten die internationalen Musikstars

taz: Joe Henderson und Pharoah Sanders sollten in diesem Jahr die großen Zugnamen des JazzFests sein. Beide sind weggefallen – der eine durch Krankheit, der andere, weil er lieber ein paar Wochen vorher im Tränenpalast spielen wollte. Nun stößt man im Programm nur noch vereinzelt auf Bekanntes. Ist Popularität eine Schande?

Albert Mangelsdorff: Durchaus nicht. Wir haben auch viele bekannte Musiker in unserem Programm. Neben John Scofield und David Murray auch den Pianisten Gonzalo Rubalcaba und den englischen Trompeter Kenny Wheeler. England wurde eher durch Zufall zum Schwerpunktthema und hat nichts mit dem diesjährigen Festwochenschwerpunkt zu tun. Es lag vielmehr daran, daß wir dem London Jazz Composers Orchestra eigentlich schon für letztes Jahr zugesagt hatten, und ich stehe zu meinem Wort.

Ebenso wie FRIGG mit ihrem Brecht-Programm, die ebenfalls schon im letzten Jahr auftreten sollten. Ist das JazzFest-Programm ein Überhang- und Zufallsprodukt, oder verfolgen Sie ein geheimes Konzept?

Mein Konzept ist das, was es schon seit 1995 ist: gute und kreative Musiker auf die Festivalbühne zu bringen, die unterschiedliche Strömungen des zeitgenössischen Jazz repräsentieren.

Was strömt denn da?

Vor allem verschiedene Stile. Auch gute Musik kann langweilig sein, wenn sie sich nur um die gleiche Stilart bewegt. Es geht mir nicht darum, neue Trends aufzuspüren, danach suchen wir Musiker nicht. Strömungen kommen meistens von Einzelpersonen. Jazz ist eine sehr individuelle Musik für mich und war noch nie so vielschichtig wie jetzt.

Wie kann man sich das Entstehen Ihres JazzFest-Programms vorstellen?

Nun, ich höre mir viele CDs an und fahre auch gezielt zu Konzerten. Das Programm ist eine Mischform aus der Präsentation aktueller Projekte, wie z. B. des Eric-Dolphy-Projekts von Aki Takase und Rudi Mahall oder der Formation von John Scofield mit Medeski, Martin & Wood, aber auch der Würdigung eines Lebenswerkes, wie in diesem Jahr bei Charlie Mariano. Charlie wird 75 Jahre alt, und ich habe ihn gefragt, mit welcher Formation er gerne auftreten würde. Er hat sich die Reunion der Besetzung seiner Banglore-Platte gewünscht. Außerdem möchte ich, daß mehr lokale Musiker durch ihre Beteiligung beim JazzFest ein breiteres Forum bekommen. Ich bin in meinem Leben genug geehrt worden. Ich muß mich nicht auch noch mit großen Namen schmücken. Es gibt viele großartige Festivals in Deutschland, wo man in diesem Jahr Sonny Rollins oder Oscar Peterson hören konnte. Berlin bietet etwas anderes.

Glauben Sie nicht, daß diese Andersartigkeit in Langeweile untergehen wird?

Im Gegenteil. Ich bin ja nun seit über 50 Jahren selbst Musiker und habe eine sehr große Erfahrung – in den verschiedensten Stilarten. Ich denke, ich weiß, was Qualität ist, und das wird sich auf der Bühne zeigen. Das JazzFest 98 ist das vierte unter meiner künstlerischen Leitung, und ich habe gerade einen Vertrag unterschrieben, der mich noch bis zum Jahr 2000 verpflichtet. In den letzten Jahren hatten wir immer ein ausverkauftes Haus. Der einzige Grund, warum es dieses Jahr nicht so sein könnte, wäre das JVC-Festival, das sich in unkollegialer Weise direkt vor uns gesetzt hat.

Gerade Aki Takase und Rudi Mahall wären auch auf dem gleichzeitig stattfindenden Total Music Meeting denkbar. Kommen Sie sich ins Gehege?

Da muß man natürlich aufpassen. Ich glaube aber, daß beide Festivals nach wie vor ihr eigenes Profil haben und sich gut ergänzen. Interview: Maxi Sickert