■ Lucky Streik
: Zynisch totgelobt

Die Aktivistin war richtig empört. Es gehe nicht um Begriffe, also sei es ihr egal, ob der Studentenstreik wirklich ein „Streik“ sei. Wichtig sei ihr, daß der Protest gegen die Zustände an den Hochschulen nicht aufhöre. Stieß sie hervor – um weiter mit großem Erfolg selbstgefaltete Eurofighter in der Berliner S-Bahn zu verkaufen. Und Geld für die maroden Universitäten zu sammeln.

Das war letzten Dezember, und die 20jährige Studentin tauchte mit ihrer Aktion tags darauf wohl in den Medien auf. Aber ihr pragmatischer Streikbegriff, den sie mit Zigtausenden teilte, war kaum Gegenstand einer Debatte zwischen den protestierenden Studenten und der Öffentlichkeit. Dabei wäre das sehr spannend gewesen: Es hätte die politische Bewußtwerdung einer Generation beschleunigen können, die es geschafft hat, binnen drei Monaten rund eine halbe Million Menschen in ganz Deutschland auf die Straße zu bringen. Egal ob in der Universitätsstadt Gießen, wo der „Streik“ schon im Oktober seinen Anfang nahm, ob im ostdeutschen Potsdam oder im Ruhrpott. Sogar das sonst eher schläfrige München war im Protestwinter 97 auf den Beinen. Die Studierenden überraschten mit einer seit 1968 nicht mehr dagewesenen Protestkultur.

In den Kommentarspalten der Zeitungen zunächst beklatscht, bekamen die Studierenden von den 68ern alsbald zu hören, ihr Aufbegehren sei unpolitisch, weil es nur um Geld gehe. Nichtsdestoweniger übertrafen die 97er die 68er bei weitem, was Masse und Kreativität anlangt. Die ungehörigen Zöglinge fanden überall Beifall: Bei Politikern – die sie „totlobten“, wie die Studis spotteten; in den Medien, die seit dem letzten (west)deutschlandweiten Protest 1988/89 nicht mehr so ausführlich berichtet hatten; bei den Menschen, die Studentenprotesten wohl noch nie soviel Sympathie entgegengebracht haben wie im Winter 97/98.

Die Solidarität der Bevölkerung hatte Gründe. Selbst Ottilie Normalbürgerin wußte von den miserablen Zuständen an den Hohen Schulen im Land der Dichter und Denker. Dieses vage Wissen trat vollends ins Bewußtsein, als in Gießen ein Seminar mit 600 statt der geplanten 60 Erstsemester abzuhalten war. Die um ihre Bildungschancen betrogenen Bürgerkinder protestierten auf ihre Art: Nicht im verbissenen Aufstand, sondern in der Form des fröhlichen Streiks – unter dem publikumswirksamen Slogan „Lucky Streik“.

Solange die Studis wie auf einer Love Parade Investitionen „in Köpfe statt in Beton“ forderten, war alles paletti. Sobald sie aber, wie anno 68, bei der Selbstverwaltung der Universitäten die gleichen Rechte wie die Professoren einklagten, war finito mit der Zustimmung. Das herbe Ende der neuen Liebe zwischen Studierenden und Medien markierte die große Bonner Demonstration im Januar letzten Jahres. Ein paar Studis warfen mit Eiern, andere verletzten die Bannmeile. Sofort war von autonomen Chaoten die Rede.

Der Erfolg des 97er Studentenprotestes läßt sich kaum beurteilen. Die Politik umarmte die Protestler, war aber zu meßbaren Zugeständnissen kaum bereit. Der Bundesbildungsminister hatte alle Mühe, eine lächerliche Soforthilfe von 40 Millionen Mark für Bücher aufzutreiben. Die Reform des Bafög scheiterte, der mediale Knaller ging grandios daneben: die unfreundliche Übernahme der FDP durch Masseneintritte in Berlin, Köln, Stuttgart und anderswo. Die meisten FDP-Kaperer wandten sich angewidert von den Geschäftsordnungstricks der angeblich Liberalen ab.

Dennoch ist die Wirkung der 97er Studentenproteste damit nicht erklärt. Wer heute, ein Jahr später, die Lucky Streiker befragt, sieht keine Fröhlichkeit, sondern Ignoranz oder Verbitterung. Die Studierenden fragen sich, wozu ihr Potest gut war, wenn Politiker ihn zynisch totloben konnten. Sie fühlen sich zutiefst entfremdet von einer politischen Öffentlichkeit, deren Medien, wie sie sagen, ihre Streikziele 1997 verfälschten und unzureichend transportierten. Wenn dies nicht nur eine flüchtige Zwischenbilanz ist, stellt sich die Frage: Wie wird sich die Generation der Studentenstreiker 1997 inner- und außerhalb der Universität verhalten? Was werden sie tun? Christian Füller