Frankreichs Spion kommt vor Gericht

■ Die Regierung in Paris sorgt sich in der Affäre um den proserbischen Offizier um ihr Ansehen. Die Nato wiegelt ab

Paris (taz) – „Wird uns das schaden?“ fragen die üblichen Bedenkenträger der Republik, seit sie von der Spionage eines hochrangigen französischen Nato-Offiziers für Serbien erfahren haben. „Wird es nicht“, antwortete der Generalsekretär der Nato, der Spanier Javier Solana, gestern höchstpersönlich. „Wir haben nicht einmal von der Affäre gesprochen“, versicherte der britische Verteidigungsminister George Robertson gestern am Ende des Wiener Treffens mit seinen europäischen Amtskollegen. „Das Ganze ist sehr schwerwiegend. Aber doch eine individuelle Affäre“, beschwichtigte Frankreichs Außenminister Hubert Védrine.

Und dennoch stand auch gestern in Paris wieder die Frage nach den internationalen Folgen der Spionagetätigkeit von Kommandant Pierre-Henri Bunel im Vordergrund. Dabei ist bislang nur bekannt, daß Bunel, der zuletzt im Brüsseler Nato-Hauptquartier arbeitete, sich zwischen Juli und Oktober dieses Jahres viermal mit dem serbischen Oberst Jovan Milanović getroffen hat und diesem dabei ein insgesamt 25seitiges Dokument über die Nato-Strategien für ein eventuelles Vorgehen gegen Serbien übergeben hat. Das Dokument war zwar als „Verteidigungsgeheimnis“ klassifiziert, enthielt jedoch entgegen anderslautenden Angaben nach Informationen der Zeitung Le Monde keine detaillierte Liste der möglichen Angriffsziele.

Kommandant Bunel (46), der nach dem Besuch der Pariser Militärschule St. Cyr eine Karriere als Nachrichtenoffizier gemacht hat, gibt nach Informationen von Le Monde an, allein und aus „Sympathie für die serbische Nation“ gehandelt zu haben. Aufträge von französischer Seite bestreitet er.

Allerdings wirft diese serbo- französische Affäre, mit der sich im Gegensatz zu früheren erstmals ein französisches Gericht befassen wird, viele Fragen auf. So ist unklar, warum Bunel, der sich nach US-Tips spätestens seit dem 19. Oktober in den Händen der französischen Spionageabwehr befand, erst am Wochenende an die zivile Justiz übergeben wurde. Unklar ist auch, ob er seine serbischen Beziehungen nicht schon während des Bosnienkrieges knüpfte.

Schließlich stellt sich jetzt in Paris die Frage, wie sehr die an der Militärschule St. Cyr weitergegebene Lehre von der französisch- serbischen Freundschaft tatsächlich der Vergangenheit angehört. Selbst wenn der sozialistische Ex- Verteidigungsminister Paul Quilès gestern vollmundig versicherte, die Militärs des Landes seien „völlig loyal“ gegenüber der Politik, ist die Erinnerung an den erst 1995 abgetretenen, ebenfalls sozialistischen Präsidenten François Mitterrand noch sehr frisch. Und der hatte schließlich einen französischen Krieg gegen Serbien grundsätzlich ausgeschlossen. Dorothea Hahn