Splitter-Splatter ohne Ketchup

■ „Frank Schwein sagt Hallo“: (K)eine Dramatisierung von Neil Jordans Film „Butcher Boy“ im Jungen Theater

Wenn man einen Jungen geizig und heimtückisch schimpft, dann kann er nicht umhin, sehr schnell was zu werden? Natürlich geizig und heimtückisch. Das lehrte uns Max Frischs „Andorra“ (wenn man's nicht selber schon wußte). Wenn man einen Jungen ein Schwein schimpft, fängt er nicht nur an zu grunzen und in anderer Leute Wohnung zu kacken; nein, durchdrungen von seltsamem Mitleid killt er auch noch ein vereinsamtes Ferkelchen, durchdrungen von weniger seltsamem Haß ein weibliches Menschenmonsterschwein namens Mrs. Nugent. Das lehrt uns der aufstrebende irische Autor Patrick McCabe. Zugegeben, in seinem Theaterstück „Frank Schwein sagt Hallo“ verhält es sich erheblich komplizierter. Dieses Erheblich-komplizierter verknoten Bubenschwein Claus Franke und Michael Pundt ganz ausgesprochen-umwerfend-fantastisch-exzellent. Überschlagsmäßig 57 Mal wechselt Pundt überschlagsartig seine Rolle inklusive Stimme. Und schätzungsweise 20 Mal taumelt das Stück zwischen rückerinnernder Ich-Erzählung und Jetztzeit-Spiel hin und her. Nicht gerade das, was man unter einer bühnentauglichen Form versteht. Aber trotz all dieser inhaltlichen und formalen Bruchstellen entwickelt die Geschichte vom psychischen Abdriften des lieben Lausbubs Frank den Sog eines Hollywoodfilms. Vielleicht wurde sie deshalb vom irischen Regiestar Neil Jordan verfilmt. Ein rosa Ferkel erhielt der dafür nicht, aber wenigstens den Silbernen Bären der Berlinale 98.

Jetzt also das Stück zum Film zum Roman? Natürlich nicht. Die Theaterfassung stammt von McCabe selbst und soll angeblich krasser, metaphorisch reicher und zerfetzter – also splatter- und splitterhafter – sein als der Roman. Ihr großer Erfolg auf der grünen Insel war es, was Regisseur Ralf Knapp lockte. Und zwar schon vor Jordans Film. Es gibt sie doch, die glücklichen Fügungen des Schicksals (außer für Jungen namens Frank). Weil eine Stuttgarter Inszenierung auf der Romanfassung beruht, darf sich das Junge Theater sogar einer „Deutschen Erstaufführung“ brüsten – mit expliziter Einwilligung des Rowohlt-Verlags.

Unmengen an Ketchupblut prognostizierten LiebhaberInnen von Jordans sinnlich-üppigem Film für diese – wir sagen's nochmal – Deutsche Erstaufführung. Aber bei McCabes Overkill an mandarinenfarbenen Monden, Elvis Presley-Träumen und fliegenumschwirrten Leichen blieb Knapp eigentlich fast nichts anderes übrig als äußerste optische Sparsamkeit. Erfolgreich verlagert er das turbulente Bühnengeschehen in des Zuschauers Kopf hinein. Nur eine Putzmittelflasche, der unvermeidliche Tullamore Dews (Harry Rowohlts Lieblingswhisky) und ein Fliegenpatscher klatschen ein auf des Zuschauers Fantasie. Die blaßlila Spitzendecke auf dem einzigen Stück Bühneninventar (eine Proletencouch) war schon von Anfang an verrückt.

Besonders knausert die Regie mit Menschenmaterial. Michael Pundt bäckt Myriaden von Kuchen als Franks manisch-depressive Mutter, er röchelt mal in die Trompete, mal aus dem letzten Loch als Franks Vater, er verkörpert gebündelten Markttratsch in Form eines Haufens plappernder Weiber, spielt Pastor und Polizist, Franks herzallerliebsten Jungenfreundschafts-Freund und seinen herzallerbösesten Feind – Mrs. Nugent. Keine Anmaßung des Regisseurs: Generös erlaubt McCabe eine Schauspieleranzahl zwischen Zwei und ultimo. Wegen des schnellen Identitätswechsels muß das Zuschauerhirn mobil sein wie ein Hedge-Fond-Manager, um blitzschnell zwischen Waldhöhle, gar nicht so übel duftendem Kleinstadtmief, Internats-Schlafraum und vielem mehr hin- und herzubeamen. Prickelnd ist das mindestens ebenso wie der satte Kursgewinn des Hedge-Fond-Managers.

Aber ist solch Gewiesel angemessen für die Darstellung eines psychischen Niedergangs? Bewundernswert sind Jordans Film und die Bremer Inszenierung deshalb, weil beide eben nicht von oben auf ein armseliges Opfer dieser Gesellschaft herabmitleiden. Bis zum bitteren Ende sprüht Claus Franke vor Übermut. Bemerkenswert, wie er mit dem Film–Frank mithält. Ein paar blutige Katastrophen zwischendurch können ihn nicht abhalten, die Welt frech-freudig anzugrinsen und mit locker-federndem Knie über den Boden der Tatsachen hinwegzutänzeln. bk

5.-8.11./11.-14.11./18.-22.11 20h