Ein Schub für die Schulreform

■ Sieben Bremer Schulen proben neue Arbeitszeitmodelle: Lehrer mehr Zeit in der Schule. Erste Erfahrungen sind positiv, aber es hakt noch im Detail / Behörde beendet Konfrontationskurs

Vor anderthalb Jahren haben viele noch Zeter und Mordio geschrieen, wenn die Debatte auf neue Arbeitszeitmodelle für Bremens 7.000 LehrerInnen kam. Jetzt ist die Aufregung der Sacharbeit gewichen. In der Bildungsbehörde hat man eingesehen, daß es ein Fehler war, den Pädagogen die Pistole auf die Brust zu setzen: Entweder Ihr macht mit bei den neuen Arbeitszeiten oder wir drücken Euch zwei Pflichtstunden zusätzlich auf.

Jetzt ist die Pflichstundenerhöhung Realität. Gleichzeitig erproben sieben Bremer Schulen neue Arbeitszeitmodelle, zuletzt hat die Gesamtschule Ost begonnen. Beteiligt sind vier Grundschulen, zwei Schulen der Sekundarstufe I und eine Sonderschule. Für die Probezeit hat die Bildungsbehörde zunächst fünf Prozent mehr Lehrerstunden bewilligt, künftig werden es zwei Prozent mehr sein.

Trotz mancher Schwierigkeiten sind die ersten Erfahrungsberichte durchaus positiv. Folglich setzen die Beamten von Bildungssenatorin Bringfriede Kahrs (SPD) nun auf die Kraft des guten Beispiels, um skeptische KollegInnen zu überzeugen. Im Kern geht es darum, mehr Transparenz in die Arbeitszeit von Lehrern zu bringen und so auch das Bild von den „faulen Säcken“ zu widerlegen.

Die neuen Modelle gehen davon aus, daß Lehrerarbeit mehr ist als 28 mal pro Woche 45-Minuten-Lektionen runterzureißen. Jetzt wird auf der Basis einer 38,5-Stunden-Woche (das macht angesichts der Ferienzeit in jeder Unterrichtswoche 43,5 Stunden) das Zeitbudget in drei Bereiche eingeteilt: Erstens Zeit mit Kindern, also Unterricht, Betreuung, Aufsicht. Zweitens Systemzeit, also Gespräche mit Kollegen oder Konferenzen. Und drittens die Vor- und Nachbereitung des Unterrichts. Lehrkräfte haben weniger frei verfügbare Zeit und mehr Präsenz an den Schulen.

An den sechs Schulen, die schon im Schuljahr 1997/98 das neue System erprobt haben, werden Eltern und Schülern feste Öffnungszeiten garantiert. Fast überall sind Betreuungsräume eingerichtet worden, in denen Schüler bei Unterrichtsausfall beschäftigt und beaufsichtigt werden. Überall gibt es feste Zeiten, in denen Kollegien sich beraten können. Und die Grundschulen In der Vahr, Am Wasser und Borchshöhe haben mit den alten Arbeitszeiten die klassische 45-Minuten-Stunde beerdigt und arbeiten in Rhythmen von 60 bis 90 Minuten.

In einer Umfrage des Norderstedter Bildungsforschers Thomas Riecke-Baulecke haben breite Mehrheiten der beteiligten Pädagogen die verläßlichen Öffnungszeiten, die Belebung der Schulreform, größere Gerechtigkeit und mehr Bewegung im Kollegium als wichtigste Ergebnisse der neuen Arbeitszeitmodelle angeführt.

Obwohl viele Lehrer weiterhin skeptisch sind, lehnen nur noch wenige hartgesottene Kämpfer der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) die geplanten Reformen rundheraus ab. Strittige Details gibt es aber noch genug. So wollen die Versuchsschulen ihre Arbeitszeitkonten noch nicht der Behörde vorlegen. Dahinter steckt unter anderem die Frage, ob zum Beispiel für einen Krankentag auch die Vor- und Nachbereitung für den nicht gegebenen Unterricht angerechnet werden soll. Und wie sollen Teilzeitkräfte von Koordinationsaufgaben entlastet werden? Die schwerste Entscheidung steht noch aus: Soll eine Stunde Sport mit elf Schülern so gewichtet werden wie eine Stunde Mathematik vor 30? Hier warten die Schulen auf Vorgaben der Behörde. Joachim Fahrun