Türkischer Bund befürchtet religiösen Dominoeffekt

■ Auch der Regierende Bürgermeister erwartet zahlreiche Anträge weiterer Organisationen auf Religionsunterricht. Schulverwaltung bleibt gelassen. Alevitenverein will Lebenskultur lehren

Nachdem das Oberverwaltungsgericht der Islamischen Föderation den Status einer anerkannten Religionsgemeinschaft zugebilligt hat und damit der Weg für islamischen Religionsunterricht frei ist, befürchtet der Türkische Bund Berlin-Brandenburg (TBB), daß jetzt weitere religiöse Gruppierungen Unterricht anbieten wollen. „Religiöse Vereine, aber auch kleine Sekten können sich durch das Urteil bestärkt fühlen“, sagt Geschäftsführer Kenan Kolat. In Berlin gibt es laut Kolat 200 nichtanerkannte Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Sie reichen von der Bahai-Religion bis zu griechisch-orthodoxen Vereinen.

Rita Hermanns, Sprecherin der Senatsschulverwaltung, sieht das ähnlich: „Es kann durchaus sein, daß sie jetzt zu uns kommen.“ Sie wies jedoch darauf hin, daß die Vereine bereits vor dem OVG-Urteil die Möglichkeit hatten, prüfen zu lassen, ob sie Religionsunterricht anbieten können. Das Interesse sei aber bisher nicht groß gewesen. Viele Vereine, so Hermanns, wollten gar nicht an Schulen unterrichten und hätten auch nicht die nötigen Kapazitäten.

Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) hat weitaus dramatischere Befürchtungen: Es gebe jetzt die „Möglichkeit für eine unüberschaubare Zahl von Islamschulen und Vereinen, deren Inhalte und Methoden niemand kontrollieren kann, die Zulassung zum Religionsunterricht zu beantragen“.

Einen potentiellen Bewerber gibt es bereits: Das Kulturzentrum anatolischer Aleviten. Der als liberal-demokratisch geltende Verein, hat in Berlin rund 1.300 Mitglieder. Innerhalb der nächsten fünf Jahre will er Unterricht anbieten, der „Glauben, Lebenskultur und Philosophie miteinander verbindet“, so der Vereinsvorsitzende Yüksel Özdemir gegenüber der taz. Ein Drittel der Berliner Türken sind Aleviten.

Kenan Kolat vom TBB geht davon aus, daß sich für islamischen Religionsunterricht zwei Vereine interessieren könnten: das Islamische Kulturzentrum, das als islamistisch-nationalistisch gilt und den Grauen Wölfen nahesteht, sowie die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion. Deren Vorsitzender ist gleichzeitig der Religionsattaché des türkischen Generalkonsulats.

Der Verfassungsschutz prüft unterdessen ein neue Beobachtung der Islamischen Föderation. Dies habe jedoch nichts mit dem OVG-Urteil zu tun, so der Verfassungschutz-Sprecher Eberhard Kruschke. 1991 sei die Beobachtung eingestellt worden, weil nicht hinreichend belegt werden konnte, daß es sich um eine extremistische Organisation handele. Jetzt wisse der Verfassungsschutz jedoch von „Verflechtungen zu Milli Görüș“, die einen islamistischen Gottesstaat fordern. Julia Naumann

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