■ Bei Ministers zu Haus – die Heime unserer neuen Regierung (15)
: Finkenweg, dritte Datsche links

Wer Familienministerin Christine Bergmann in ihrem Wochenendhäuschen in Hirschfelde, mitten in der Barnimer Moränenlandschaft vor den Toren der Bundeshauptstadt besuchen will, sollte mit dem Auto kommen. Zumal an einem regnerischen Freitagnachmittag wie diesem sei jedem vom angeblich stündlich verkehrenden Überlandbus abzuraten.

Immerhin kannte der Busfahrer die Haltestelle „Sonnental“, hielt sogar ohne Aufforderung, schaute mit mürrischer Herablassung nach seinem einsamen Gast und wies mit der Hand vage die Richtung. Danke, ich find's schon.

Morgen kommen die „Sonnentaler“ wieder...

Schließlich hatte Frau Bergmann am Telefon den Weg genau beschrieben: „...dann geh'n Se nicht links, da geht's bloß zum Klub, sondern halblinks, immer den ollen Zaun entlang, bis es matschig wird. Und dahinter die Anhöhe rauf...“ Vorbei an einem langen, mannshohen, blickdichten Bretterzaun stehen tatsächlich auf einem kleinen Hügel eine Handvoll Hütten vor einem Wäldchen. „...Finkenweg, dritte Datsche links. Zieh'n Se feste Schuhe an“, hatte sie gesagt. – Endlich mal eine brauchbare Wegbeschreibung.

„Ja, die eigentliche Zufahrt ist von Finkenwalde her“, begrüßt mich die 58jährige. „Morgen fallen se dann alle wieder ein, die ,Sonnentaler‘. Sommers wie winters, wie Gott sie schuf. ,Daß die sich nix abfrieren', wie meine Tochter sagt. Aber ich könnt' das auch nicht. Obwohl: Is' ja an sich wahrscheinlich auch ganz schön da unten, mit 'nem eigenen kleenen Baggersee da auf'm Gelände. Tischtennis. Liegewiese, sagt man. Aber komm' Se erst ma' rein. Und die Schuhe lassen Se besser hier. Kaffee?“ Ich nicke.

„Klaro hätten Sie mich auch in meiner Klitsche in Marzahn besuchen können“, sagt sie, „aber da gibt's nix zu gucken ... wie bei der Nolte.“ Sie lacht. „Und hier draußen“ – Bergmann macht eine ausladende Geste – „ach, Sie sehen's ja selbst. Allein die Aussicht... Vorsicht Stufe!“

In der Tat macht das 70-Quadratmeter-Häuschen, das die ehemalige Berliner Arbeitssenatorin 1991 von der Treuhand kaufte, schon auf den ersten Blick einen sympathischen Eindruck: unaufdringlich, ein wenig karg vielleicht mit seinem Gartentischchen vor der Küchenzeile und den drei Klappstühlen, den Hängeregalen und -schränken. Nur die abgewetzte Ledergarnitur wirkt ein wenig wuchtig in dem kleinen Raum. „Ach, die Leutchen haben ja viel auf'n Sperrmüll gestellt nach der Wende“, sagt Bergmann. Auf dem kleinen Tischchen vorm Sofa steht eine klobige Kerze auf der aufgeschlagenen Fernsehzeitschrift – daneben: zerlesene Spiegel-Ausgaben, ein Quellekatalog, eine Dose mit Gebäck.

Frau Bergmann wirkt freundlich, klug, scharfsichtig. „Wie ich heut' aussehe“, zwinkert sie mir irgendwann zu und zupft an ihrem Seemannspulli, „müssen Sie ja nicht unbedingt schreiben, oder?“ Wir reden lang und viel. Die Keksdose ist leer.

...aber heute sind nur Hasen am Hügel zu sehen

„Milch und Zucker, ja? Was wollten Sie noch wissen?“ fragt sie und reicht mir einen der beiden Tchibo-Becher. „Ach so, Frauenbündnis. 184 StGB. Ich weiß, ,Volksverhetzung‘ ist so'n Kraftausdruck. Aber sehen Se mal: ,Verstoß gegen die Menschenwürde‘ hin, ,sexualisierter Haß‘ her – ich brauch' keine Pornos, die Rita Süssmuth nicht, die Andrea Fischer nicht und meine Freundinnen auch nicht. Alles Frauen. So isses doch. Nee, nee, wir treffen uns lieber hier mal übers Wochenende und – quatschen.“ Frau Bergmann steht auf, geht zum Fenster, schaut kurz den Hügel hinab und zieht die Gardine vor. „Nur Hasen“, seufzt sie und wendet sich wieder mir zu.

„Zurück nehmen Sie aber besser 'n Taxi. Warten Sie, ich ruf' Ihnen eins... wenn ich mein Handy finde.“ Bergmann streunt durch die Wohnung, schaut in die Küche, unter die Zeitschriften, fühlt in der Sofaritze, zuckt die Schultern, sieht aus dem Fenster. Untätig warte ich im Zimmer, schaue formhalber hinters Sofa. (Doch auch da: kein Handy; nur ein Fernglas.) „Ich hab's“, ruft sie und reicht mir das Telefon. Wir trinken noch ein Täßchen Kaffee. Sie selbst bleibe bis Sonntag, lächelt die Familienministerin. Draußen hupt das Taxi. Christoph Schultheis