Aids dezimiert Afrikas Bevölkerung

■ Die UNO kalkuliert mit 400 Millionen Menschen weniger bis 2050. Der Rückgang der Lebenserwartung betrifft vor allem Schwarzafrika

Berlin (taz) – Eine wachsende demographische Kluft zwischen Afrika und dem Rest der Welt prophezeit die Bevölkerungsabteilung der UNO – und macht dafür die Ausbreitung von Aids verantwortlich. Nach den jüngsten Projektionen der zuständigen UN-Abteilung ist in den am schlimmsten von Aids betroffenen Ländern Afrikas ein Rückgang der durchschnittlichen Lebenserwartung um bis zu 20 Jahre im Gange. In reichen Ländern hingegen könnte die Lebenserwartung bis zum Jahr 2050 auf 100 Jahre steigen, und die Zahl der Weltbewohner über 80 Jahre soll sich bis dahin auf 370 Millionen versechsfachen.

Eine solche extreme Differenz der Lebensdauer zwischen verschiedenen Weltregionen ist historisch einmalig. Der Aidseffekt hat die UNO sogar dazu bewogen, ihre Schätzungen über die langfristige Entwicklung der Weltbevölkerung um 400 Millionen zu reduzieren – auf eine Gesamtzahl von unter neun Milliarden Menschen bis 2050. Der Großteil dieser Verringerung betrifft Afrika.

Je erfolgreicher der Kampf gegen die Ausbreitung von Aids in den reichen Staaten wird und je mehr teure Behandlungsmethoden von bereits Erkrankten angewandt werden, desto mehr konzentriert sich das Massensterben auf den afrikanischen Kontinent, der sich die medizinischen Neuerungen und die teure Intensivbehandlung von Aidskranken nicht leisten kann. Die letzte UN-Schätzung zur weltweiten Aidsentwicklung von Juni 1998 gab den Anteil Schwarzarikas an den Infizierten weltweit mit 68 Prozent an – nahezu 21 Millionen von den weltweit etwa 30 Millionen HIV-Infizierten. Von den HIV-positiven Kindern weltweit waren bereits 87 Prozent Schwarzafrikaner.

In Afrika, das derzeit 749 Millionen Einwohner hat, gilt inzwischen jede dreizehnte Person zwischen 15 und 49 als HIV-infiziert. Bis Ende 1997 waren in Afrika 2,5 Millionen Kinder an Aids gestorben, allein 430.000 davon 1997. Im selben Jahr wurden vier Millionen Afrikaner neu infiziert, davon 530.000 Kinder. Neun von zehn Infizierten in Afrika wissen nach UN-Schätzungen nicht, daß sie den Virus tragen.

Im südlichen Afrika droht eine aidsbedingte Krise

Am schlimmsten ist die Lage im östlichen und südlichen Afrika. So sind laut UNO in Botswana, Kenia, Malawi, Mosambik, Namibia, Ruanda, Sambia, Simbabwe und Südafrika mehr als zehn Prozent der Erwachsenen infiziert. Im Durchschnitt der neun genannten Länder wird nach UN-Berechnung die Lebenswartung bis zum Jahr 2015 auf 47 Jahre sinken – ohne Aids wären es noch 63.

Am schlimmsten ist den UN- Berechnungen zufolge Botswana betroffen, wo ein Viertel der Bevölkerung den Virus trägt. Die Lebenserwartung in diesem Land, statistisch gesehen eines der wohlhabendsten Afrikas, ist seit 1995 von 63,6 auf 41 Jahre gesunken; die Bevölkerung des Landes wird im Jahr 2025 um fast ein Viertel geringer sein als ohne Aids. In Malawi liegt die Lebenserwartung bereits bei 37 Jahren – es waren einmal 51. In Simbabwe werden nach Regierungsschätzungen bis 2005 1,2 Millionen Erwachsene an Aids sterben. Südafrika hat derzeit nach Regierungsschätzungen die weltweit höchste Zuwachsrate an HIV- Neuinfektionen in einem einzelnen Land: 1.500 pro Tag.

Die Auswirkungen eines solchen Massensterbens sind auch wirtschaftlich verheerend, da es überdurchschnittlich die ökonomisch aktivsten Bevölkerungsteile trifft. Südafrikas Regierung denkt bereits darüber nach, wie es seine proklamierten Ambitionen einer „afrikanischen Renaissance“ mit einem aidsbedingten ökonomischen Absturz des südlichen Afrika auf einen Nenner bringen kann. Das UN-Weltentwicklungsprogramm UNDP erklärte jüngst: „Aids wird Erfolge im Kampf gegen die Armut umkehren und eine Kettenreaktion von ökonomischer und sozialer Desintegration in Gang setzen.“

Nicht alle sehen das jedoch so. 400 Millionen Afrikaner weniger in den nächsten 50 Jahren sind in den Augen mancher ein wirtschaftlicher Gewinn. Die Weltbank behauptete vor kurzem in einem Bericht zu Thema unverblümt: „Rückgänge im Bevölkerungswachstum wegen Aids werden dazu tendieren, Rückgänge im Wirtschaftswachstum auszugleichen, so daß die Nettoauswirkung auf das Pro-Kopf-Einkommen allgemein klein sein wird.“

Zumindest die Regierung von Botswana, dem Land an der Aids- Weltspitze, scheint diese zynische Argumentation zu teilen: Sie verkündete Ende September einen Langzeitplan „Vision 2016“, der den 1,5 Millionen Botswanern ungeahnte Wohltaten verspricht: Eine Verdreifachung des Pro- Kopf-Einkommens, zwölf Jahre kostenlose Schulbildung – und sogar eine Sozialhilfe für Aidskranke in Höhe von zwölf Mark im Monat. Und in Tansania besetzen ausländische Investoren bereits den neuesten Wachstumsmarkt: Sie kaufen Friedhöfe. Dominic Johnson