Grüne kritisiert rot-grüne Regierung

Flüchtlingspolitikerin Claudia Roth kritisiert Rückführung von Kosovo-Albanern nach Jugoslawien trotz eines möglichen Nato-Schlags. Ämter drängen Flüchtlinge mit Sozialhilfestreichung, „freiwillig“ auszureisen  ■ Aus Berlin Marina Mai

Die bündnisgrüne Flüchtlingspolitikerin Claudia Roth hat die neue Bundesregierung kritisiert, weil sie an der Rückführung von Kosovo-Albanern nach Jugoslawien festhält. „Angesichts einer möglichen militärischen Intervention der Nato in Jugoslawien halte ich es für politisch völlig unmöglich, Flüchtlinge dorthin zurückzuschicken“, sagte Roth der taz. Die Menschen sollten in Deutschland bleiben können, bis sich die Lage in ihrer Heimat verändert hat.

Nach Roths Ansicht ist neben Außenminister Joschka Fischer (Grüne) auch Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) gefordert. „Er kann ja nicht deutsche Soldaten nach Jugoslawien entsenden und gleichzeitig mit der Aussetzung von Flüchtlingen in Gegenden, in denen sie nicht zu Hause sind, zu einer Eskalierung der Lage beitragen.“

Als Folge eines von der EU gegen Jugoslawien verhängten Flugboykotts sind derzeit zwangsweise Abschiebungen nicht möglich, denn das „Rückübernahmeabkommen“ zwischen Bonn und Belgrad sieht Abschiebungen ausschließlich über die jugoslawische Airline vor. Offenbar wird diese Regelung aber auf dem Verwaltungsweg umgangen. Dabei versuchen deutsche Behörden, Flüchtlinge mittels Streichung der Sozialhilfe zu veranlassen, vorgeblich freiwillig auszureisen.

„Unsere Dienstvorgesetzten sagen uns, nach Jugoslawien kann man zurückkehren, dort ist kein Krieg“, erklärte eine Sprecherin des Sozialamtes im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg. Mehrere Berliner Sozialämter stellten Kosovo- Albanern mit Verweis auf das Asylbewerberleistungsgesetz vor die Alternative auszureisen oder sich ohne Sozialhilfe durchzuschlagen. Können die Sozialämter Flüchtlingen keine zumutbare Ausreisemöglichkeit nachweisen, dürfen sie Sozialleistungen weder kürzen noch streichen.

Die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck (Grüne), kritisierte gegenüber der taz die Berliner Sozialämter: „Die besonders rabiate Anwendung des Gesetzes in Berlin zeigt, daß jetzt der Konsens aufgebrochen wurde, wonach man Gruppen von Menschen nicht ohne soziale Grundversorgung lassen darf.“ Beck forderte, über eine Änderung des Gesetzes nachzudenken.

Die Entscheidung der Sozialämter, ob Flüchtlingen die Ausreise zugemutet werden kann, hängt im wesentlichen von zwei Faktoren ab: der technischen Möglichkeit, das Herkunftsland zu erreichen, sowie der Gefährdungssituation vor Ort. Das Auswärtige Amt (AA) hält eine Rückkehr von Flüchtlingen nach Jugoslawien technisch „prinzipiell für möglich“, wie ein Sprecher gegenüber der taz erklärte. Es würden mehrmals pro Woche Flugzeuge beispielsweise der Lufthansa verkehren. Der Flugboykott der EU verhindere lediglich Abschiebungen, nicht die freiwillige Ausreise.

Im übrigen müßten die Flüchtlinge ja nicht in die Krisenprovinz des Kosovo zurückkehren, sondern könnten in die Bundesrepublik Jugoslawien reisen. Freiwillig zurückkehrende Kosovo-Albaner wären „insbesondere in Montenegro vor politischer Verfolgung sicher“. Rückführwillige Bundesländer könnten sich überdies auf Amtshilfe des AA verlassen. „Wenn ein Land Zweifel daran hat, ob ein Flüchtling in Jugoslawien untergebracht wird, können wir konkrete Unterbringungsmöglichkeiten aufzeigen“, erklärte der Sprecher des Auswärtigen Amtes. Die letztgültige Verantwortung für Flüchtlingsrückführungen liege ohnehin bei den Innenministern der Länder. „Es gibt derzeit keinen Beschluß der Innenministerkonferenz, die Rückführungen von Kosovo-Albanern ohne Aufenthaltsrecht zu stoppen.“ Die Konferenz kommt erst am 19. November zusammen, das Thema der Rückführung von Kosovo-Albanern steht nach Auskunft des federführenden Innenministeriums Rheinland- Pfalz nicht auf der Tagesordnung.

Roth und Beck sehen das Außenministerium dennoch in der Pflicht. Die Innenbehörden würden, so Beck, ihre Entscheidungen aufgrund der Länderberichte des AA fällen. Wenn die Bundesregierung die Situation für so problematisch hält, daß sie sie mit deutschen Soldaten befrieden wolle, könne man Menschen nicht zumuten, dorthin zurückzukehren, erklärte Roth.