Analyse
: Kopfgeld für Bin Laden

■ Die Regierung der USA will den "Superterroristen" vor Gericht stellen

Es erinnert an den Wilden Westen. Fünf Millionen US-Dollar bietet die US-Regierung jedem, der Hinweise liefert, die zur Festnahme von Ussama Bin Laden oder seinem Komplizen Muhammad Atef führen. Da beiden in den USA die Todesstrafe droht, darf von Kopfgeld geredet werden.

Trotz – oder gerade wegen – der hohen Summe wirkt der Schritt hilflos. Zuvor mußte der Kongreß die bisherige Obergrenze für Belohnungen bei der Terroristenhatz von zwei Millionen Dollar aufheben. FBI-Chef Lewis Schiliro erklärte den Grund: Die bisherigen verdeckten Ermittlungen gegen Bin Laden hätten nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Das klingt so, als hätte man in Washington keine Ahnung, wo der Gesuchte steckt. Dabei hat Bin Laden wiederholt Reporter und TV-Teams empfangen – in einem Camp in der Nähe der von den Taliban kontrollierten afghanischen Stadt Kandahar.

Die Summe soll wohl vor allem die kriegsgeschwächte Islamistentruppe animieren, den lästigen Gast loszuwerden. Die Chancen dafür stehen gar nicht so schlecht. In den letzten Wochen boten die einst mit Unterstützung der CIA aufgebauten Taliban an, Bin Laden in Afghanistan vor Gericht zu stellen. Auch soll ihm inzwischen verboten sein, sich politisch zu betätigen. Kein Wunder, hoffen doch die „Koranschüler“, daß US-Firmen eine Pipeline vom öl- und gasreichen Zentralasien durch Afghanistan bauen. Deshalb dürfen sie es sich nicht ganz mit den USA verscherzen.

Doch ist Bin Laden tatsächlich der Bösewicht, zu dem ihn die US-Regierung erklärt? 238 Punkte umfaßt die am Mittwoch vorgelegte Anklageschrift. Der Exilsaudi soll für die Anschläge auf die US-Botschaften in Kenia und Nairobi verantwortlich sein sowie für Attentate auf US-Soldaten in Somalia und US-Militäreinrichtungen im saudischen Riad und Chobar. Beweise blieben die US-Behörden jedoch schuldig.

Schützenhilfe bekommt Bin Laden nun ausgerechnet aus Saudi-Arabien, jenem Staat, dessen Königshaus seit Jahren seine Auslieferung fordert. Bin Laden sei mitnichten für die beiden Anschläge auf US-Einrichtungen in Saudi-Arabien verantwortlich, erklärte Innenminister Prinz Bin Nadschef Abdul-Asis am Mittwoch. Es obliegt der Spekulation, ob der Minister sich auf Ermittlungsergebnisse bezieht oder ob die Bin Ladens in Saudi-Arabien einfach so mächtig sind, daß es nicht ratsam ist, einen – wenn auch mißratenen – Sproß der Familie vor Gericht zu stellen. Von dem Anschlag in Chobar haben die Bin Ladens übrigens profitiert: Die zerstörte dortige US-Militärbasis wird von der familieneigenen Baufirma wiederaufgebaut – jenem von Ussama Bin Ladens Vater gegründetem Unternehmen, dem der „Superterrorist“ sein Millionenerbe verdankt. Thomas Dreger