Irische Zeitungen als Friedensstifter

■ In Irland ist man altmodisch. Man liest gern Zeitungen, denn sie reflektieren die eigene Haltung. Die elektronischen Medien sind dagegen zu ausgewogenerer Berichterstattung verpflichtet. Im Friedensprozeß spielten die Printmedien dennoch eine rühmliche Rolle: Als Vermittler zwischen Protestanten und Katholiken

Später Morgen in der Innenstadt von Derry. Eine Frau kommt in den Zeitungsladen und nimmt sich eine Sun. „Nein, nicht die, Mrs. Doherty“, sagt der Zeitungshändler, „die rechts daneben“. Er dirigiert seine Kundin zur irischen Ausgabe der Sun, die neben der britischen Standardausgabe liegt. Denn Mrs. Doherty ist Katholikin und der Zeitungsverkäufer weiß, daß man sich in Nordirland mit den Zeitungen, die man liest, vor allem identifizieren möchte.

Dieselbe Mrs. Doherty würde natürlich auch das Derry Journal kaufen, auf keinen Fall jedoch den Londonderry Sentinel; sie würde die Irish News nehmen, aber keinesfalls den News Letter; womöglich würde sie gar, wie ihre protestantischen Nachbarn, auch einmal den Belfast Telegraph lesen. Aber wahrscheinlich nur wegen der Kleinanzeigen.

Nordirland ist eine mit Medien überversorgte Gesellschaft. Eine Bevölkerung von insgesamt nur eineinhalb Millionen Menschen hat zwei Fernsehsender, ein Lokalradio, drei überregionale Tageszeitungen und vierzig Lokalzeitungen. Dreißig Prozent der Bevölkerung empfängt außerdem RTE, das öffentliche Fernsehen der Republik Irland.

Im Friedensprozeß Nordirlands und für die anschließenden Wahlen zum neuen nordirischen Parlament haben die Medien, und ganz besonders die Zeitungen, sowohl bei der Berichterstattung als auch für die innergesellschaftliche Diskussion eine große Rolle gespielt.

Nordirland ist ungewöhnlich. Es ist, was Medien angeht, seltsam altmodisch. Zeitungen sind so wichtig wie in kaum noch einem anderen Land. Die Leute kaufen die Zeitung, die ihre Weltsicht reflektiert – und zwar auch deshalb, weil Rundfunk und Fernsehen durch das Gesetz zu ausgewogener und unparteilicher Berichterstattung verpflichtet sind.

Die Spaltung der nordirischen Gesellschaft hat außerdem zur Folge, daß die üblicherweise die Zeitungslandschaft beherrschenden Marktgesetze hier nicht immer zum Zuge kommen. Zeitungen mit kleinsten Auflagen, die anderswo schon lange hätten eingestellt werden müssen, leben hier von ihren Anzeigenkunden weiter. Denn wer in Nordirland inseriert, besonders offizielle Stellen und Ämter wie das Nordirlandministerium und die staatliche Wohnungsbau- und Wohnungsvermittlungsstelle, muß Zeitungen beider Seiten bedienen. Andernfalls würden sie schnell beschuldigt, sektiererisch zu sein. Dieser Mechanismus funktioniert als Quasisubvention, um sicherzustellen, daß in ganz Nordirland, ob in der Stadt oder auf dem platten Land, immer beide Seiten eine Stimme haben.

Während der schwierigen und langwierigen Allparteien-Gespräche, des Referendums und der anschließenden Wahlen sind einige Zeitungen allerdings sehr viel weiter gegangen, als nur Meinungen und Vorurteile ihrer Leser zu reflektieren. Der Herausgeber des Belfast News Letter, Geoff Martin, sprach sich beispielsweise offen für das Abkommen von Belfast aus – was für die Akzeptanz der neuen Politik bei den protestantischen Unionisten von großer Bedeutung war.

Vor der Volksbefragung über das Abkommen schrieb er in einem Leitartikel: „Wir beziehen eine Position, weil wir finden, daß wir nicht einfach dasitzen und abwarten können. Wir haben uns das Abkommen genau angeguckt und haben beschlossen, dafür einzutreten. Ein großer Teil unserer Leser hat diese Entscheidung noch nicht getroffen, denn viele Unionisten sind verunsichert und deshalb unentschieden.“

Seine Parteinahme überraschte und schockierte viele Unionisten. Daß er sich überhaupt so einsetzen konnte, lag zum größten Teil an der Haltung des Managements, besonders des Direktors der Mirror-Zeitungsgruppe, David Montgomery.

Er ist ein nordirischer Protestant, der sich sowohl mit dem britischen Premier Tony Blair als auch mit David Trimble, dem Chef der größten unionistischen Partei Nordirlands, gut versteht. Wie das Referendum später zeigte, sprach Martin für eine politisch fragmentierte und verunsicherte Bevölkerungsgruppe. Die Leserschaft der Irish News war dagegen selbstbewußter und einheitlicher. Ihr Chefredakteur Tom Collins sagte in einem Interview mit der Irish Times: „Die Zeitung hat zwei Aufgaben: Einerseits sprechen wir zu unserer Leserschaft, andererseits aber auch für sie. Während des Friedensprozesses sind wir zwischen dem einen und dem anderen ständig hin- und hergesprungen.“

Obwohl sie eigentlich Konkurrenten sind, gingen Geoff Martin und Tom Collins eine ungewöhnliche Partnerschaft ein. Collins sagte: „Die Zeitungen sind in Nordirland an einer Konsenspolitik, die in fast allen demokratischen Gesellschaften normal ist, näher dran gewesen als unsere Politiker.“

Beide Zeitungen wurden zum Forum der politischen Debatten. Mit gemeinsamen Kommentaren, die zeitgleich in beiden Zeitungen erschienen, demonstrierten Collins und Martin zudem, daß man sich trotz gravierender politischer Unterschiede für das gemeinsame Ziel, den Frieden, auf Grundsätze einigen kann – auf die Ablehnung von Gewalt und die Unterstützung des Friedensprozesses.

Die beiden Journalisten stellten unter Beweis, welche entscheidende Rolle die freie Presse für die Entwicklung der Demokratie spielen kann. Dafür wurden sie mehrfach ausgezeichnet.

In der Tat verhielten sich Zeitungen anderer Länder in vergleichbaren Situationen genau entgegengesetzt; beispielsweise in Jugoslawien und in Ruanda, wo die Presse Haß und Gewalt erst so richtig anstachelte und so eine beschämende Schlüsselrolle einnahm.

Nicht alle Zeitungen waren in der Lage, so klar Stellung zu beziehen wie der News Letter, die Irish News und der Belfast Telegraph. Für sie als überregionale Zeitungen war es einfach, den Friedensprozeß zu unterstützen. Viele unionistische Zeitungen, deren Leserschaft gespalten war, konnten dagegen nur überleben, indem sie sich nicht allzu eindeutig festlegten.

Der führende Politiker der Unionisten, David Trimble, der das Abkommen natürlich unterstützte, wurde von den kleinen Zeitungen in Portraits und Reportagen allerings oftmals als mutiger Politiker dargestellt, der bereit sei, ein Risiko einzugehen. Sein Bild erschien dann meist auf der oberen rechten Seite der Zeitung, während Fotos der wichtigsten Oppositionspolitiker weiter unten oder gar erst innen auf einer linken Zeitungsseite abgedruckt waren. Aus solchen und ähnlichen Layout- Tricks konnte man die politische Haltung der Redakteure herauslesen.

Für Nordirlands Zeitungen sieht es auf dem Medienmarkt, der sich zunehmend als ein gemeinsamer begreift, kritisch aus. Das erfolgreiche Derry Journal ist gerade für 18,25 Millionen Pfund von der Mirror-Gruppe aufgekauft worden und damit im selben Stall gelandet wie der unionistische News Letter. Der Redaktionsraum des News Letter bietet seither einen denkwürdigen Anblick: An einem Ende sitzen Journalisten, die für die Ulster-Unionisten schreiben, am anderen Ende Mirror-Journalisten, die einst in ihrer irischen Ausgabe titelten: „Britische Truppen raus.“

Fast könnte man meinen, daß die nordirischen Medien nur noch Außenposten britischer Medienunternehmen seien, wären da nicht immer wieder Dinge, die daran erinnern, daß Nordirland doch noch nach anderen Regeln funktioniert.

Ende Mai dieses Jahres hatte beispielsweise BBC Radio Foyle vor dem Referendum zu einer Diskussionsrunde eingeladen, die auf Radio Ulster Network ausgestrahlt werden sollte.

Nicht alle Beteiligten, so die Chefin von Radio Foyle, Anna Leddy, waren bereit, sich mit ihren Kontrahenten an denselben Tisch zu setzen. Zwar fand die Diskussion ganz zivilisiert und vor einem Publikum geladener Gäste in einem Universitätsauditorium statt. Für die Übertragung mußten jedoch zwei separate Studios eingerichtet werden. Michael Foley

Michael Foley ist Korrespondent der „Irish Times“ und dort zuständig für den Bereich Medien