Auch Chancen für „bemooste Physiker“

■ 1.188 StudentInnen haben die Bremer Universität 1997 ohne Abschluß verlassen. Ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt sind laut Arbeitsamt gar nicht so schlecht. Eine Kontaktbörse des Arbeitsamtes vermittelt Studienabbrechern neue Karrieren

Nach 22 Semestern Chemie hatte Uwe Rabbe, heute 36, die Nase gestrichen voll. „Werde ich überhaupt noch was“, fragte er sich. Die Jobaussichten für Chemiker waren schlecht. Außerdem hatte er inzwischen Frau und Kind. Der frustrierte Student ging zur Kontaktbörse für Studienabbrecher im Bremer Innovations- und Technologiezentrum (BITZ) an der Universität. Fünf Jahre ist das inzwischen her. Uwe Rabbe ist heute Bezirksbeauftragter der Debeka Versicherung. „Ein Job, mit dem ich alt werden möchte“, sagt er. Den Abbruch seines Studium habe er nie bereut. Inzwischen wirbt er auf der Kontaktbörse selbst Studienabbrecher an. „Der Fachbereich ist uns völlig schnurz“, sagt Rabbe. „Hauptsache, die Bewerber können auf Menschen zugehen.“

Uwe Rabbe ist kein Einzelfall. Etwa 30 Prozent aller StudentInnen an deutschen Universitäten brechen ihr Studium ab. 20 Prozent aller StudentInnen verlassen die Fachhochschule ohne akademischen Grad. An der Bremer Universität haben sich 1997 1.188 StudentInnen ohne Abschluß exmatrikuliert. Die Zahlen sind allerdings nur bedingt aussagekräftig. StudentInnen, die sich exmatrikulieren, weil sie die Uni wechseln, werden nicht gesondert erfaßt.

Die Chancen, trotz abgebrochenen Studiums einen Job zu bekommen, stünden gut, sagt Franz Baron, Mitglied des Hochschulteams des Bremer Arbeitsamtes. Seit sechs Jahren organisiert er die Kontaktbörse für StudienabbrecherInnen im BITZ. 165 Studienabbrechern „quer durch alle Fachbereiche“ habe er seitdem „zu einer neuen beruflichen Heimat verholfen“. Darunter ein Jurist, der nach elf Semestern derzeit zum Redakteur umsattelt und einen abgebrochenen Ökonomen, der jetzt als Bankkaufmann arbeitet.

Die wenigsten Studenten würden ihr Studium abbrechen, weil ihnen die Anforderungen zu hoch seien, weiß Baron. „Die meisten haben finanzielle, gesundheitliche oder private Gründe, das Studium abzubrechen.“ Auch die Arbeitgeber hätten mittlerweile erkannt, daß ein abgebrochenes Studium kein Manko sein müsse. „Die Zeiten, in denen ich mir anhören mußte, das ist doch ein mit 16 Semestern bemooster Physiker, den nehmen wir nicht, sind lange vorbei“, sagt der Arbeitsvermittler. Die Chancen stünden allerdings desto besser, je früher das Studium abgebrochen werde. Baron: „Wenn man abbrechen will, tut man es am besten möglichst zwischen dem vierten und achten Semester.“ Die nicht ganz fertigen Akademiker hätten Arbeitgebern trotzdem viel zu bieten. Sie seien gebildet und hätten gelernt, selbständig zu arbeiten. Außerdem seien sie erwachsen.

Eine Einschätzung, die Andreas Goldbohm (studierter Pädagoge mit Diplom, heute Personalmanager bei Bertelsmann) teilt. Für die Lexikothek sucht er auf der Kontaktbörse gezielt nach Studienabbrechern, die als Außendienstmitarbeiter kompakte Nachschlagewerke an einen festen Kundenstamm verkaufen wollen. Er braucht Mitarbeiter „mit Persönlichkeit und umfassender Allgemeinbildung“, die den Fragen der Bertelsmann-Kunden gewachsen sind. Auch ihm ist die Fachrichtung „völlig egal“. Hauptsache, die künftigen Außendienstmitarbeiter könnten „auf Menschen zugehen“ und hätten „Persönlichkeit“. Je nach Fleiß würden die Außendienstler, die freiberuflich arbeiten, zwischen 6.000 bis 8.000 brutto plus Sozialleistungen verdienen. Darüber hinaus werden sie zum „Fachberater im Außendienst“ ausgebildet. Anschließend absolvieren sie eine achtmonatige Ausbildung zum Direktrepräsentanten.

Auch Karin Bohlmann, bei der Sparkasse Bremen für Personal und Ausbildung zuständig, sucht auf der Kontaktbörse nach Nachwuchs-Bankern. Zehn Studienabbrecher absolvieren derzeit bei der Sparkasse eine Ausbildung zum Bankkaufmann. Darunter abgebrochene Juristen, Betriebswirte, aber auch ein Chemiker und die Lebensmitteltechnikerin Sandra Voßmeyer. Nach sechs Semestern hat sie ihr Studium geschmissen. „Es war zu technisch.“ Als angehende Bankkauffrau käme ihr jetzt die „Lebenserfahrung“, die sie im Studium gewonnen habe, zugute. Auch sie hat den Schritt, das Studium abzubrechen, nie bereut. „Im Gegenteil.“

„Die Erfahrungen mit Studienabbrechern sind durchweg positiv“, bestätigt Ausbilderin Karin Bohlmann. Studienabbrecher wären den Anforderungen des „sehr anspruchsvollen Berufes eines Banckaufmanns“ gewachsen. Außerdem lobt sie das „selbstbewußte Auftreten“ und die Redegewandtheit von Studienabbrechern. Und Ex-Studenten hätten noch einen entscheidenden Vorteil, sagt Bohlmann: „Die gehen nach der Ausbildung nicht wieder weg, um zu studieren.“

Kerstin Schneider