Literatur – kein Lehrstoff

■ Rezension: „Der Bio-Bluff“. Ein köstlich garniertes Sachbuch über den Traum vom schönen Essen, unglückliche Hühner und Schizophrenie

„Kein Huhn nirgends. Zwar fließt ein Bächlein hier, ein bißchen Grün gibt es auch an seinen Ufern und ein paar Bäume. Aber eine hühnerfreundliche Umgebung ist es eigentlich nicht, so mitten der Stadt, schräg gegenüber der Oper. Dieser Büropalast wäre auch nicht die richtige Behausung für das arme Tier, es könnte ja rutschen auf dem glatten, steinernen Boden oder den Schnabel anschlagen an den gläsernen Wänden. Hühnerleitern gibt es nicht, nur Treppen und einen Fahrstuhl.“

Mit diesem Einstieg in das Buch hat der Autor schon fast gewonnen. Denn so, wie bei dieser Kostprobe, geht es sprachlich munter weiter. Ob solcher Sätze vergißt man leider gelegentlich, an deren Inhalt zu denken, und muß manche Passagen – man tut es aber gern – nochmals lesen, mitunter laut wiederholen und sie schmunzelnd über die Lippen ins Freie schieben – 200 Seiten lang, die zudem noch schön gebunden und nicht einfach ummantelt sind. Dabei ist es eigentlich ein Sachbuch.

In elf Kapiteln geht der ehemalige Spiegel-Redakteur vielen Versprechungen nach, denen mancher Konsument von vermeintlicher Bio-Ware aufsitzt, erwandert die Grenze zwischen seriösen Geschäften und krimineller Verstrickung. Nach den Fälschern von Öko-Eiern nimmt er die artgerechte Rinderhaltung ins Visier, wundert sich, daß Tiere lieber Öko-Futter fressen und erklärt, warum mancher Bäcker von seinem eigenen Teig Ausschlag bekommt. Den einzelnen Kapiteln liegt augenscheinlich eine ausgiebige Archivarbeit zugrunde, denn immer wieder wird aus der Presse zitiert – allerdings, und das ist das einzige Manko, zwar mit Angabe des Medientitels, aber ohne Nennung der Fundstelle. Fakten werden nicht nüchtern – tabellarisch gar – als Lehrstoff geboten, sondern zur feinen Garnierung. So erfährt man beispielsweise auch, weshalb das Gläschen Öko-Wein in der Kneipe eigentlich nur 40 Pfennig mehr kosten dürfte, statt des unerträglichen Öko-Zuschlages von mitunter mehreren Mark.

Das Buch nennt Namen, polarisiert von Freund bis Feind, hat manches Schmankerl zu bieten. So jenes aus einem Chemiekonzern, dessen Kantine sich dem Angebot von „Menüs aus naturreinen Zutaten“ verschrieben habe. Aber den 3.000 Chemiearbeitern scheint die chemiefeindliche Kost zu munden, beobachtet der Autor, sie genössen „die Speisen ohne auffälliges Murren“. Fazit: Das Buch animiert zum achtsamen Einkauf. Ein Sachbuch allerdings, das man schmunzelnd auch vor dem Einschlafen genießen kann. Andreas Lohse

Hans-Ulrich Grimm: „Der Bio- Bluff. Der schöne Traum vom natürlichen Essen“. Hirzel, 200 Seiten, 38 DM. ISBN 3-7776-0870-X