Clinton soll Stasi-Schatz heben

■ Prominente Bürgerrechtler um Poppe, Neubert, Klier und Templin fordern den amerikanischen Präsidenten in einem Brief zur Rückgabe bisher geheimgehaltener Unterlagen der HVA auf

Berlin (taz) – Der letzte Schatz des untergegangenen Staatssicherheitsdienstes der DDR soll gehoben werden. Frühere Bürgerrechtler aus der DDR fordern den amerikanischen Präsidenten Bill Clinton auf, die in den USA noch lagernden und unter strengem Verschluß gehaltenen Akten des Auslandsnachrichtendienstes HVA herauszugeben.

Am kommenden Montag, symbolträchtig zum 9. Jahrestag des Mauerfalls, wollen die früheren Dissidenten um Christian Führer, Freya Klier, Erhart Neubert, Gerd Poppe und Wolfgang Templin dem Botschafter der USA in der Bundesrepublik, Kornblum, einen offenen Brief mit angehängten Unterschriftenlisten übergeben. Der Inhalt der „Initiative Brief 9. November“ ist ein dringender Appell: „Wir bitten Sie, Herr Präsident, die Geheimdienstbehörden Ihres Landes zur Rückgabe dieser Materialien zu bewegen.“

Ohne amerikanische Unterstützung, heißt es in dem Schreiben etwas düster, sei „dem Fortwirken von Geheimdienstgruppierungen aus DDR-Zeiten“ nicht beizukommen. So sei bis heute beispielsweise das „Inlandsnetz der Hauptverwaltung Aufklärung“ mit seinen „10.000 Agenten nicht aufgedeckt“ worden. Und diese Agenten seien „vor allem vor, aber auch nach der Wende an entscheidenden gesellschaftlichen und politischen Positionen plaziert“ worden. Und diese „stören den Aufbau der Wirtschaft und der Demokratie“.

Die Organisatoren des Aufrufs greifen Berichte auf, wonach es den Amerikanern während der Wende gelungen ist, umfangreiche Unterlagen mit den Namen und Daten der im Westen eingesetzten Agenten aufzukaufen. Diese Aktion der CIA am Ende des Kalten Krieges – eine der erfolgreichsten des amerikanischen Geheimdienstes überhaupt – wird mit dem Codeword „rosewood“ beschrieben. Unter Verstoß gegen die ansonsten übliche Konspiration innerhalb eines jeden Geheimdienstes hatte die HVA eine Dokumentensammlung angelegt, aus der heraus sich das Netz ihrer Agenten im Ausland in weiten Teilen rekonstruieren läßt.

Wie die Akten in den Besitz des US-Geheimdienstes gelangten, ist ein Kapitel für sich. Die wahrscheinlichste Version, die unter Stasi-Auflösern, Journalisten und mit der Sache befaßten Beamten vermutet wird: Ende 1989, Anfang 1990 wurde die Liste erstellt, mit dem Ziel, sie eine Weile in der Sowjetunion zu parken. Die Staatssicherheit befand sich gerade in Auflösung. Doch der Auslandsgeheimdienst HVA hegte noch die Hoffnung, in einer neuen, weiterbestehenden DDR für die Regierung wieder tätig werden zu können. Die Karteien, die auf drei 16 Millimeter breite Filme kopiert worden sein sollen, stellten demnach das Startkapital für einen runderneuerten DDR-Auslandsdienst dar. Wären da nur nicht wortbrüchige Mitarbeiter des sowjetischen Dienstes in der KGB-Vertretung in Berlin- Karlshorst involviert gewesen. Sie sollen die Unterlagen für viel Geld an die CIA verkauft haben. Von einer Million Dollar als Kaufpreis wird gemunkelt.

1993 wurde die Existenz dieser Aufzeichnungen erstmals bekannt. Der damalige Geheimdienstkoordinator Schmidbauer hatte sich verplappert. Mit stolzgeschwellter Brust kündigte er in Bonn die Enttarnung von rund 2.000 weiteren DDR-Spionen allein in Westdeutschland an. Gefragt, worauf er diese Aussage stützte, bediente sich der Staatsminister einer Notlüge: Die Russen, neuerdings auch in der Geheimdienstbranche kooperativ, hätten die Akten zur Verfügung gestellt. Schmidbauer wußte es besser, er mußte aber einer Auflage der amerikanischen Kollegen folgen.

Ausgesprochen restriktiv hatten die US-Behörden der deutschen Spionageabwehr einen sehr begrenzten Zugang zu den Akten eröffnet (zwei Beamte des Kölner Verfassungsschutzes durften nur mit Papier und Bleistift bewaffnet einen Teil der Dokumente einsehen). Dieses demütigende Verfahren war mit der Auflage strengsten Stillschweigens verbunden. Um nun den spärlichen Zugang nicht zu gefährden, griff der vorlaute Schmidbauer zur Falschaussage. Die Folge waren heftige Proteste der russischen Behörden.

Noch heute hütet die CIA die ergatterten Unterlagen sorgsam wie einen Augapfel. Der Vorhang des Geheimnisses hob sich bisher nur einmal ein wenig. Im Washingtoner Vorort Alexandria sprach vor zwei Wochen ein Gericht ein Pärchen für schuldig, das erst für die Stasi, dann für Rußland und Südadfrika Spionage betreiben wollte. Die Hinweise auf die Beschuldigten fanden sich in eben jenen Stasi-Unterlagen, sie sind Teil der Ermittlungsakten.

Daß Präsident Clinton oder die US-Geheimdienste diesen kleinen Schatz nun mit den Bürgerrechtlern oder der Gauck-Behörde in Berlin teilen wollen, ist ziemlich unwahrscheinlich. Selbst das Bonner Innenministerium scheiterte bisher mit der Bitte um Herausgabe der vollständigen Unterlagen. Wolfgang Gast