Mehr Siedlungen statt eines Truppenabzugs

■ Nach dem Anschlag setzt das israelische Kabinett die Palästinenser unter Druck

Noch am Donnerstag hatte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu der palästinensischen Autonomiebehörde bestätigt, daß sie ausreichend Fortschritte im „Kampf gegen den Terror“ gemacht habe. Arafats Behörde hatte zwölf der dreißig Hamas- Mitglieder, deren Verhaftung Israel fordert, festnehmen lassen. Doch der gestrige Anschlag hat die Situation dramatisch geändert.

Das israelische Kabinett unterbrach seine Beratungen über das Wye-Abkommen, sobald die Nachricht vom Attentat um 9.40 Uhr Ortszeit bekanntgeworden war. Statt dessen wurden die Konsequenzen des Anschlags debattiert. Netanjahus Berater, David Bar-Ilan, machte die Position des israelischen Kabinetts deutlich: „Fünf Jahre haben wir die Verurteilung des Terrors gehört. Jetzt wollen wir Taten sehen.“

Das Kabinett verlange deshalb, daß die Autonomiebehörde die „Infrastruktur des Terrors“ zerstöre. Zudem müsse der Palästinensische Nationalrat zusammentreten und alle Artikel annullieren, die zur Zerstörung Israels aufrufen. Eine solche Formulierung ist im Wye-Abkommen nicht enthalten. Statt dessen heißt es dort, daß eine Versammlung von Mitgliedern des Nationalrats, des palästinensischen Parlaments sowie verschiedener Berufsverbände im Beisein von US-Präsident Bill Clinton den Brief Arafats an die US-Regierung absegnet, der die Annullierung der PLO-Charta vor zwei Jahren bestätigt. Offensichtlich aufgrund unerwartet starken Widerstands im Kabinett hat Netanjahu diese Forderung aber zur Bedingung gemacht. Gestern verlautete, daß das israelische Kabinett seine Beratungen über die Ratifizierung des Wye-Abkommens erst wiederaufnehmen werde, wenn beide Forderungen erfüllt seien. Damit aber droht der Stopp des Friedensprozesses.

Die palästinensische Seite kann auf die Formulierungen im Wye- Abkommen verweisen und eine erneute Abstimmung im Nationalrat verweigern. Und auch im Kampf gegen den Terrorismus wollen die Palästinenser sich nicht mehr von Netanjahu schulmeistern lassen. Der palästinensische Verhandlungsführer Saeb Ereikat erklärte gestern, daß die Palästinenser mehr als eine hundertprozentige Anstrengung im Kampf gegen den Terror unternommen hätten. Niemand könne, so die palästinensische Standardformulierung, einen hundertprozentigen Erfolg garantieren.

Nicht ganz zu Unrecht befürchten die Palästinenser, daß Netanjahu den Terroranschlag nun zum Anlaß nimmt, das Wye-Abkommen in Frage zu stellen oder Nachverhandlungen zu verlangen. Sehr zur Freude der israelischen Siedler drohten mehrere Minister mit dem Ausbau der Siedlungen auf Har Homa und Ras al-Amud im arabischen Ostjerusalem. Nach einer solchen Provokation aber dürfte es selbst Clinton schwer haben, dem Verhandlungsprozeß noch einmal Leben einzuhauchen.