■ Bei Kanzlers zu Haus – die Heime unserer neuen Regierung (letzter Teil)
: Single-Kabinett statt Bahnhofsmission

In den vergangenen zwei Wochen haben wir uns in den Häusern, Wohnungen und Datschen der neuen Minister sowie des neuen Bundestagspräsidenten umgesehen. Nicht ohne Grund schließen wir unsere Serie mit einem Besuch beim Bundeskanzler – das Geheimnis um Gerhard Schröders Bonner Adresse sollte so lange wie möglich gewahrt werden. Denn schon vor geraumer Zeit hatte uns Schröder auf Anfrage erklärt, er werde sich „auf keinen Fall länger als nötig der Ästhetik des Gästehauses aussetzen. Da übernachte ich doch lieber in der Bahnhofsmission.“ Wenig später erhielten wir einen Anruf: Im Palais Schaumburg stünden zwei Zimmer zur Verfügung, ob wir beim Besichtigungstermin dabeisein wollten? Wir wollten.

Gerhard Schröder nickt anerkennend. „Na, das ist doch ein Stück etwas anderes!“ ruft er. Wir stehen im Türrahmen seiner zukünftigen Interims-Residenz, im ersten Stock des Palais Schaumburg. Noch werden die Räume als Büro genutzt, und der offensichtlich unangemeldete Auftritt des Kanzlers sorgt für Überraschung. Ein Gruppenleiter und seine Sekretärin springen von ihren Plätzen auf, eilen Schröder entgegen. „Nur keine Hektik, Leute“, meint der, zieht sein Jackett aus, wirft es über einen Stuhl und zerrt sich die Krawatte vom Hals. Die Ärmel muß er nicht extra hochkrempeln: Sie sind, wie jetzt aus der Nähe zu erkennen ist, bereits aufgerollt und mit kleinen Stichen am Hemd befestigt.

Schröder schüttelt die ihm entgegengestreckten Hände. „Schön, Sie zu sehen“, strahlt er. „Ich will mich nur mal umgucken. Und die hier“, deutet er auf uns, „sind nicht vom BKA, sondern von der Te- a-zett“. Er lacht dröhnend. „Machen Sie einfach 'ne Pause, dafür hat Ihre Gewerkschaft doch gekämpft“, fügt er hinzu und entläßt das verwirrte Personal – nicht, ohne der Sekretärin freundschaftlich den Hintern zu tätscheln, als sie vorbeihuscht. „Kommen Sie“, sagt er dann und strebt vorwärts. „Wir wollen uns die Bude mal genauer begucken.“

Die „Bude“, Konrad Adenauers ehemaliges Ruherefugium, ist gar nicht übel. Zwei fast gleich große Zimmer (28 und 34 Quadratmeter), Parkettfußboden, hohe Decken, große Fenster mit Blick in den weitläufigen Park. Und – der Kanzler registriert es erleichtert – ein modernes Badezimmer. „Wissen Sie, Sie sollten mal die sanitären Anlagen im Gästehaus sehen – da muß unbedingt was gemacht werden, wirklich.“ Abgesehen davon, führt er aus, sei der Bau auch sonst „geradezu vorsintflutlich. Stellt euch mal vor: Im ganzen Haus gibt es keinen Computer. Da muß man seine Memoranden in Marmor meißeln!“ prustet er und schüttelt dann den Kopf. „Ich hab ja selber auch nur wenig Ahnung davon. Aber meine Frau hat die Hände überm Kopf zusammengeschlagen. Naja, ich werd' mir hier jedenfalls einen E-Mail-Anschluß legen lassen, dann kann sie mir weiter diese ganzen Internetgeschichten schicken.“

Gerhard Schröder schiebt drei Bürostühle zusammen: „Setzt euch.“ Er freue sich auf Berlin, meint er und bietet uns Zigarren an. „Mal sehen, was der Gruppenleiter dazu sagt“, schmunzelt er und angelt eine Topfpflanze von einem Tisch, „als Aschenbecher.“ Gedankenverloren stößt er eine Rauchwolke aus, dann bebt sein Körper. „Wissen Sie, wann ich wußte, daß ich Kanzler werde?“ gluckert er. „Als ich gelesen hatte, wie das neue Kanzleramt am Spreebogen aussehen sollte und ja auch aussehen wird. Die haben nämlich ein Kinderzimmer eingeplant. Und das“, Schröder zwinkert uns mit dem linken Auge zu und streckt kurz die Zungenspitze zwischen den Zähnen hervor, „war bestimmt nicht für Helmut Kohl.“ Er wirft den Kopf in den Nacken und läßt ein leises Wiehern hören. „Kohl im Kinderzimmer! Fast schade, daß wir nicht mehr in der Opposition sind – olle Hombach hätte seinen Spaß gehabt!“

Unvermittelt springt er auf und stürmt in das hintere Zimmer. „Was meint ihr“, fragt er und weist in eine Ecke, „hier könnte ganz gut ein Bett stehen, oder? Und vorne 'n Sofa. Nee, besser 'ne Sitzgruppe. Und man könnte vielleicht Jalousien aufhängen statt dieser Vorhänge. Oder“, er grinst breit und läßt die Augenbrauen auf- und abwandern wie Groucho Marx, „verstößt das gegen den Denkmalschutz?“ Der Fotograf verwackelt kichernd die nächste Aufnahme.

Sofa, Sitzecke – macht er wirklich schon Pläne, wie er hier wohnen will? „Ja, sicher – man will es ja ein Stück behaglich haben“, sagt Schröder und schreitet zum Fenster. Er blickt hinaus und schweigt einen Moment. Dann dreht er sich um und sieht uns abwechselnd fest in die Augen. „Wissen Sie, ich habe ja schon früher wenig Zeit für das gehabt, was man eigentlich unter Wohnen versteht“, sagt er. „Als Politiker ist man voll ausgelastet. Wenn man nach Hause kommt, ist es nicht so sehr die Wohnung, die einen interessiert. Es sind die Menschen, die dort auf einen warten. Darauf kommt es an.“

Zum Abschied winkt uns Schröder vom Fenster aus nach. Wir winken zurück: Er hat uns zum Lachen gebracht, aber auch ein Stück nachdenklich gemacht. Carola Rönneburg