The Secret Museum of Mankind

Vol. 5 – Ethnic Music Classics: 1925–48 (Yazoo 7014)

Argentina's Folk Tradition (Harlequin HQ CD 114)

The Very First Mariachi. Recordings 1908–1909 (Arhoolie/Folklyrics 7036)

Choro – Samba-Frevo (Fremeaux/FMS Fenn Music FA 077)

„Weltmusik“ gibt es nicht erst, seit Paul Simon und Peter Gabriel die traditionellen Klänge rund um den Globus für die Popindustrie entdeckt haben. Die Geschichte von Phonoaufnahmen traditioneller Musik reicht bis ins vorige Jahrhundert zurück. Durch das Aufkommen von Grammophon und Schellackplatte kurz vor der Jahrhundertwende kam es zu einem atemberaubenden Wettlauf um die Märkte der Welt. Um Schallplattenspieler in Übersee zu verkaufen, benötigte man geeignete Musik, die man nur vor Ort bekommen konnte. Deshalb schwärmten jetzt Aufnahmeteams der großen Firmen aus, um allerorten Platteneinspielungen zu machen. Der Grad der Aktivitäten kann an der Vielfalt der Aufnahmen abgelesen werden, die das amerikanische Label Yazoo in den letzten Jahren in fortlaufender Folge unter der Überschrift „The Secret Museum of Mankind – Ethnic Music Classics“ publiziert hat. Die fünfte Veröffentlichung dieser Reihe präsentiert 24 Aufnahmen von 1925 bis 1948 aus so entlegenen Gegenden wie Syrien, Mauritius, Tahiti und Malawi. Oft hielten diese Einspielungen musikalische Mischformen fest, die durch den Zusammenprall lokaler Stile mit Musik von Immigranten, Kolonialisten und Missionaren entstanden waren. Dann wurde ein Chor aus dem südafrikanischen Lesotho von einem westlichen Klavier begleitet, ein französisches Akkordeon spielte zu einem Trinklied von der Insel Mauritius an.

Die Wiederveröffentlichung solcher frühen Weltmusikschellacks auf CD bringt Musikstile zu Gehör, von denen einige von neueren Entwicklungen überrollt wurden. Der argentinische Tango ist solch ein Fall. Sein internationaler Siegeszug hat andere Traditionen an den Rand gedrängt, wie etwa die Liedkultur der „Payadores“. Bei ihnen handelte es sich um die Troubadoure der Pampa, die mit ihren Gitarren in den Camps der Gauchos sangen und Liedverse aus dem Stegreif erfanden. Der Schaukampf war ein wichtiges Element ihrer Inszenierung: ein Sänger versuchte den anderen mit noch pointierteren Versen auszustechen. Folksongs dieser Art tauchten später in den Varietés der Städte auf, und während die „Payadores“ langsam verschwanden, hielt ihr Liedkanon ins Tango-Repertoire Einzug. Was für Argentinien der Tango, ist für Mexiko die Mariachi-Musik, die im Herbst 1908 das erste Mal aufgezeichnet wurde. Innerhalb eines halben Jahres nahmen die großen amerikanischen Plattenfirmen Columbia, Edison und Victor dreimals dasselbe Ensemble auf, was die Härte des Konkurrenzkampfs deutlich macht. Jeder belauerte jeden.

Daß man für die Platteneinspielungen immer das „Cuarteto Coculense“ auswählte, war kein Zufall. Die Band hatte es zu Berühmtheit gebracht, weil sie der Mariachi- Musik 1905 zu nationaler Anerkennung verholfen hatte, als sie bei der Geburtstagsparty des Präsidenten aufspielten. Im Unterschied zum heutigen Trompetensound war eine Mariachi-Gruppe damals nur mit Saiteninstrumenten besetzt. Zwei Geigen plus Vihuela und Gitarre begleiteten den steinerweichenden Duettgesang.

In Brasilien entwickelte sich die Musik entlang der Traditionen der verschiedenen ethnischen Gruppen. Aus europäischen Quellen speiste sich der Choro, eine elegante Tanzmusik für den gesellschaftlichen Salon, die in fast opernhaftem Timbre intoniert wurde. Gleichzeitig entstand in den Bergen um Rio, wo die schwarzen Migranten aus Bahia lebten, der Samba. Die erste Samba-Platte wurde im Januar 1917 aufgenommen und avancierte sofort zum Karnevalsschlager. Zu diesem Zeitpunkt war der Samba wenig mehr als das Ausdrucksmittel einer marginalisierten Kultur, wogegen die traditionellen Klänge des Nordens weit größeren Einfluß ausübten. Der Baiao-Stil aus dem nordöstlichen Sertão-Gebiet, heute als „Forro“ bekannt, war vielerorts beliebt, und der Akkordeonvirtuose Luis Gonzaga sein bekanntester Protagonist. Gleichzeitig entwickelte sich im Norden aus der Marschmusik der Militärkappellen der „Frevo“, ein Blasmusikstil, der immer zur Karnevalszeit Konjunktur hatte. Als der Samba Ende der 30er Jahre zum Symbol des Karnevals von Rio aufstieg, war die Zeit des Frevo allerdings endgültig vorbei.