Bürgerarbeit ist keine Ersatzarbeit

■ Bürgerschaftliches Engagement ist sinnvoll, aber die Lösungen für die Probleme eines überlasteten Arbeitsmarktes müssen mit anderen Instrumenten gefunden werden

Die Erwerbsneigung der Westfrauen nimmt ständig zu und die der Ostfrauen nicht ab. Aus diesem Grund wird jetzt eine Slim- fast-Kur angeboten, die vorgeblich kostengünstig die überflüssigen Frauen vom Arbeitsmarkt abzieht. Die Frauen sollen ehrenamtlich arbeiten, dafür werden sie dann nicht ent-, aber belohnt, und zwar mit der Ehre, die diese Arbeit mit sich bringt.

Das Programm ist rund 160 Jahre alt und in der jetzigen Neuauflage grundlegend geändert, zumindest begrifflich. Was damals Caritas und Wohltätigkeit hieß, wird heute als „dritter Sektor“, Selbsthilfe, neues Ehrenamt, freitätige Mitarbeit, bürgerschaftliches Engagement, Volunteering, Arbeit non for profit, Gemeinsinn, Bürgerarbeit etc., bezeichnet. Auch Männer und Jugendliche können bei diesem Programm mitmachen, und wie es aussieht, werden wieder einige Gruppierungen in der Gesellschaft ganz besonders freundlich dazu eingeladen: „Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger, Jugendliche vor, neben und nach der Berufsausbildung, Mütter nach der Erziehungsphase, ältere Menschen im Übergang in den Rentenstand, Teilzeiterwerbstätige, vorübergehend aus der Erwerbsarbeit ausgestiegene“ (Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen 1997, Teil III).

Ulrich Beck, Propagandist in Sachen Bürgerarbeit und Mitglied der Kommission, sieht darin ein probates Gegenmittel zur schrumpfenden Erwerbsarbeit und zur Milderung der Krise des Sozialstaates. Gisela Notz, Sozialwissenschaftlerin am Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung, sieht das anders. Sie befürchtet, daß die schrumpfende Erwerbsarbeit überwiegend Frauen treffen wird, die dann über kein Geld, aber über viel Freizeit verfügen, um sie in ehrenamtliche Tätigkeiten, in die Pflege der Kinder, des Haushaltes und des Gemeinsinns zu investieren. Ferner, daß die Sozialhilfe in Bürgergeld umgewidmet wird und die Zuwendung so viel angenehmer klingt, aber, wie die Erfahrung lehrt, nicht fürs Leben reicht: daß Arbeitskräfte keine „Normalarbeit“ mehr bekommen, sondern zu „Schattenlöhnen“ ehrenamtlich tätig sind. Und daß sinnvolle, freiwillige Arbeiten wie die Organisation eines Studentenstreiks oder die Proteste gegen Castor-Transporte auch in Zukunft weder eine öffentliche Würdigung noch Punkte im Numerus-clausus-Verfahren oder gar eine Minderung der Bafög-Schulden einbringen, wie sie als Gratifikation für Bürgerarbeit derzeit diskutiert werden.

Gisela Notz ist keineswegs gegen Bürgerarbeit: „Ohne Zweifel, ehrenamtliche Arbeit ist für jede zivile Gesellschaft außerordentlich wichtig.“ Nach einer kurzen und teilweise giftig-polemischen Analyse der vergangenen und aktuellen Debatten nennt sie die Voraussetzungen für eine akzeptable Bürgerarbeit: 1. Eine radikale Arbeitszeitverkürzung im Bereich der Vollerwerbsarbeit für alle. 2. Existenzsichernde, sinnvolle Arbeit für alle, die das wollen. 3. Haus- und Sorgearbeit haben ebenfalls wie künstlerische, kulturelle, politische oder gemeinwesenorientierte Arbeit zum freiwilligen, ehrenamtlichen Sektor zu zählen, falls es sich nicht ohnehin um Erwerbsarbeit handelt. 4. Gleiche Verteilung der (jetzt) bezahlt und (jetzt) unbezahlt geleisteten Arbeit auf Männer und Frauen.

Daß sie in ihrer kurzen Abhandlung „Die neuen Freiwilligen“ gelegentlich in den Sozialkitsch abdriftet und etwa wie Frau Nolte über „eine immer kälter werdende Welt“ und „die Ellenbogengesellschaft“ klagt oder dem Leser und der Leserin rät, sich endgültig von dem Gedanken zu verabschieden, „daß die menschliche Gemeinschaft ein glückliches Endziel oder ein wie auch immer ausgestattetes Paradies erreicht oder wiederherstellen könnte“, kann man überlesen. Nicht überlesen sollte man die Fakten, die Analysen und Gisela Notz' eigene Vorschläge zur freiwilligen Arbeit. Gertrud Salm

Gisela Notz: „Die neuen Freiwilligen, Das Ehrenamt – Eine Antwort auf die Krise“. AG Spak Bücher, 65 Seiten, 12 DM