■ Israels Ministerpräsident wird das Wye-Abkommen durchsetzen
: Netanjahu ohne Alternative

Die Dramaturgie ist Fassade, an der Substanz ändert sich wenig. Natürlich konnte Israels Ministerpräsident Netanjahu nach dem jüngsten Terroranschlag nicht verkünden „business as usual“. Viel zu groß waren der Druck im Kabinett und die Stellungnahme der radikalen Siedler. Mit einer schnellen, vielleicht erzwungenen Zustimmung zum Wye-Abkommen hätte Netanjahu seine traditionelle rechtsreligiöse Klientel in Harnisch gebracht. Das hat er vorerst vermieden, ohne freilich der Entscheidung ausweichen zu können. Die Formel der Arbeitspartei unter dem ermordeten Ministerpräsidenten Rabin lautete: „Wir machen weiter im Friedensprozeß, als ob es keinen Terror gebe, und wir bekämpfen den Terror, als ob es kein Friedensabkommen gebe.“ Davon will sich Netanjahu unterscheiden. Die Ratifizierung des Wye- Abkommens ist deshalb ausgesetzt, die gestrige Kabinettssitzung wurde abgesagt.

Die Palästinenser wollen mehr Land. Und sie werden alles dafür tun, um dieses zu erhalten. Nichts braucht Palästinenserpräsident Arafat mehr als einen derartigen Prestigeerfolg. Sein Ansehen unter den Palästinensern ist auf unter 40 Prozent gesunken. Aber nur Arafat kann das Wye-Abkommen gegenüber den Palästinensern durchsetzen. Das wissen die Amerikaner, das weiß auch Netanjahu. Und deshalb gibt es an der Zustimmung zum Wye-Abkommen so wenig Zweifel. Nur hat das israelische Kabinett die Abstimmung um ein paar Tage hinausgezögert. Die palästinensische Autonomiebehörde wird den „Terror“ mit allen Mitteln bekämpfen. Das ist mit der Verhaftung von Hunderten von Hamas- und Dschihad-al-Islami- Mitgliedern deutlich geworden. Und die US-Regierung will den Erfolg dieses Abkommens. Dem kann sich letztlich auch Netanjahu nicht entziehen.

Netanjahu wird Kompromisse machen. Den Formulierungen des Wye-Abkommens wird er nicht entkommen können. Der Palästinensische Nationalrat muß nicht erneut über eine Annullierung der PLO- Charta entscheiden. Sollte Netanjahu dies weiter einfordern, verletzt er nicht nur das Wye-Abkommen, sondern bringt Israel auch in massiven Konflikt zu den USA. Die jüdische Lobby dort steht in deutlicher Mehrheit zu den Oslo-Vereinbarungen und zum Wye-Abkommen. Einen Konflikt mit den Jüdischen Gemeinden in den USA ist das letzte, was Netanjahu brauchen kann. Das Wye-Abkommen wird ratifiziert und umgesetzt werden, mit der gebührenden Verspätung. Mehr als ein halbherziger Schritt zum Frieden in Nahost ist es dennoch nicht. Georg Baltissen